Urteil des Bundesgerichtshofs zur PID an Blastozysten

Der vor dem Bundesgerichtshof abschließend verhandelte Fall betraf einen Berliner Frauenarzt, der in seiner Kinderwunschpraxis präimplantationsdiagnostische Maßnahmen an acht extrakorporal erzeugten Embryonen im Blastozystenstadium durchgeführt hatte. Die untersuchten Zellen waren in diesem Stadium nicht mehr totipotent, sondern nur noch pluripotent gewesen.

Der Arzt begründete sein Handeln damit, dass bei den drei Patientinnen jeweils ein erhöhtes Risiko bestanden habe, bestimmte Erbkrankheiten an ihre Kinder weiterzugeben. Insgesamt hatte der Gynäkologe an vier der acht Embryonen gravierende genetische Defekte festgestellt. Mit Zustimmung der Patientinnen wurden die vier Eizellen ohne Anomalien in den Uterus der austragenden Person übertragen. Aufgrund der Untersuchungsergebnisse hatten die Patientinnen sich entschlossen, einer Überführung der auffälligen Eizellen in den Uterus dagegen nicht zuzustimmen. Daraufhin waren diese nicht weiter bebrütet worden und wurden letztlich verworfen.

Zuvor hatte der Arzt das Gutachten einer Rechtswissenschaftlerin eingeholt, die die Situation zwar für höchstrichterlich ungeklärt befunden hatte, jedoch von Straffreiheit ausgegangen war, da § 8 Absatz 1 des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) nur totipotente Zellen im Blastomerenstadium einem Embryo gleichstellt, darüber hinaus die PID aber nicht explizit regelt.

Um die rechtliche Lage zu klären, hatte der Gynäkologe nach Durchführung der Untersuchungen Selbstanzeige erhoben. Das Verfahren wurde daraufhin wegen Verdachts auf Verstoß gegen § 1 Absatz 1 Nr. 2 und § 2 Absatz 1 ESchG eröffnet. Denn §1 verbietet „eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt”, und § 2 schreibt fest, dass ein menschlicher Embryo nicht veräußert oder zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck abgegeben, erworben oder verwendet werden darf. Im Berliner Fall bestand daher der Verdacht, der Arzt habe erstens mit der PID ein anderes Ziel als die Herbeiführung der Schwangerschaft verfolgt, und zweitens habe er die vier Embryonen in einer nicht zulässigen Art und Weise verwendet, indem er sie verworfen habe.

Im Mai 2009 wurde der Arzt durch das Berliner Landgericht von beiden Vorwürfen freigesprochen, da es als erwiesen angesehen wurde, dass nicht die PID Zweck des ärztlichen Handelns gewesen sei. Vielmehr wäre explizit der Wunsch der Patientinnen nach der Herbeiführung einer Schwangerschaft Ziel des jeweiligen Eingriffs und Gegenstand des Behandlungsvertrages gewesen. Zum anderen habe der Arzt auch bei der Verwendung des Embryos nicht missbräuchlich gehandelt, da er eine Übertragung des Embryos in den Uterus der Mutter nicht habe erzwingen können. Vielmehr habe der Einwilligungsvorbehalt der Patientinnen hier den Ausschlag für das Verwerfen der Embryonen gegeben. Der Arzt hätte sich strafbar gemacht, wenn er gegen den Willen der Frau eine Schwangerschaft mit den betreffenden Eizellen herbeigeführt hätte. Eine andere Option als das passive „Absterbenlassen” sei dem Arzt also nicht verblieben, und dies sei nicht gleichzusetzen mit dem „aktiven Verwerfen”, auf das sich das Gesetz beziehe.  

Weiter hieß es, da die Untersuchung an pluripotenten Zellen vorgenommen worden sei, wären den jeweiligen Embryonen zudem keine Schäden entstanden. Um der Gefahr der Ausweitung der Selektionskriterien entgegenzuwirken forderte die Kammer den Gesetzgeber schließlich ausdrücklich dazu auf, eine Regelung der PID in das ESchG aufzunehmen. Gegen das Urteil legte die Staatsanwaltschaft Revision ein.

Im Juli 2010 bestätigte schließlich der 5. („Leipziger”) Strafsenat des Bundesgerichtshofs als höchste Instanz das freisprechende Urteil des Berliner Landesgerichts. In einer ersten Pressemitteilung teilt der BGH mit, die Präimplantationsdiagnostik zur Entdeckung schwerer genetischer Schäden des extrakorporal erzeugten Embryos sei nicht strafbar, da „nicht mit der im Strafrecht erforderlichen Bestimmtheit ein Verbot der bei Erlass des Embryonenschutzgesetzes im Jahr 1990 erst im Ausland entwickelten PID abgeleitet werden” könne, zumal eine PID im Blastozystenstadium den Embryo nach aktuellen Erkenntnisstand nicht schädige und seinem im ESchG intendierten Schutz vor Missbräuchen damit nicht zuwider liefe. Weiter heißt es über die PID, es könne „nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber sie verboten hätte, wenn sie bei Erlass des Embryonenschutzgesetzes schon zur Verfügung gestanden hätte”.

Abschließend betont der BGH, dass „der Gegenstand seiner Entscheidung nur die Untersuchung von Zellen auf schwerwiegende genetische Schäden zur Verminderung der genannten Gefahren im Rahmen der PID” sei und will damit einen Dammbruch zu einer unbegrenzten Selektion von Embryonen, etwa nach Wunschgeschlecht, vermeiden.

Dieses Modul ist eine um die Darstellung der naturwissenschaftlichen und ethischen Aspekte gekürzte und um die Informationen zum BGH-Urteil erweiterte Version des Artikels von:

Rose, Christina (2009): Präimplantationsdiagnostik. In: Infobrief des Deutschen Referenzzentrums für Ethik in den Biowissenschaften, Ausgabe 2/09, 1–2. Online Version (Download)

Eine ausführlichere Diskussion der rechtlichen Lage mit einem Anhang, der sich konkret mit dem vorliegenden Fall (bis zum Stand vom Mai 2009) beschäftigt, liefert: 

Middel, Annette (2009): Rechtliche Aspekte der Präimplantationsdiagnostik. In: Präimplantationsdiagnostik (Ethik in den Biowissenschaften – Sachstandsberichte des DRZE Bd. 10). Freiburg i. Br.: Alber, 52–123.

Kammergericht Berlin (2008): Beschluss zur Frage der Strafbarkeit der Präimplantationsdiagnostik nach nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 und § 2 Abs. 1 des Embryonenschutzgesetzes vom 9. Oktober 2008 (3 Ws 139/08, 1 AR 678/06 - 3 Ws 139/08). Online Version

Landgericht Berlin (2009): Pressemitteilung vom 14. Mai 2009: Freispruch eines Arztes nach Anklage wegen Vergehens gegen Embryonenschutzgesetz (PM 26/2009). Online Version

Bundesgerichtshof (2010): Pressemitteilung vom 6. Juli 2010: Die Präimplantationsdiagnostik zur Entdeckung schwerer genetischer Schäden exkorporal erzeugten Embryos ist nicht strafbar (PM 137/2010). Online Version

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat (2010): Urteil vom 6. Juli 2010. Az: 5 StR 386/09. Online Version

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