Ethische Aspekte der Nutrigenomik

In der Nutrigenomik werden die Wechselwirkungen von Ernährung und Genom allgemein und insbesondere mit Fokus auf den Einfluss der Ernährung auf die Genexpression, also deren sichtbaren Ergebnissen, untersucht. Davon ausgehend, dass Ernährung einer der wichtigsten Faktoren für Gesundheit ist (z. B. suggeriert der Forschungsstand, dass 30-60 % der Krebserkrankungen auf Ernährung zurückgeführt werden können) und die Reaktion des Körpers auf Nahrungsaufnahme vom Genom beeinflusst wird, sich also zwischen Individuen unterscheiden kann, sind Ziele der Nutrigenomik:

  • individuelle Ernährungsempfehlungen zu geben, um unbeabsichtigte Gesundheitsrisiken zu vermeiden.
  • gezielte Ernährungsweisen zur Behandlung chronischer Krankheiten zu entwickeln.
  • ein tieferes Verständnis für den Zusammenhang von Genen und Ernährung und deren Auswirkungen auf den Gesamtorganismus zu entwickeln.

Nutrigenomische Erkenntnisse haben großes Potential zur allgemeinen Gesundheit beizutragen und langfristig wirksame Mittel zur Vermeidung verbreiteter Krankheiten zu entwickeln. Gleichermaßen stellen sich im Zusammenhang der Nutrigenomik eine Reihe ethischer Probleme ein.

Gegenwärtig ist der Forschungsstand der Nutrigenomik nicht ausreichend, um tatsächlich passgenaue Empfehlungen für eine individuelle, auf Genanalyse basierende Ernährung zu geben, die über die Aussagen herkömmlicher, personalisierter Ernährungsberatung hinausgeht. Dennoch gibt es bereits zahlreiche Dienstleistungsunternehmen, die eine nutrigenomische Beratung anbieten, häufig mit dem Ziel eigene Nahrungsergänzungsmittel mithilfe auf separat angebotenen kostenintensiven Testungen beruhenden Empfehlungen zu bewerben. Es handelt sich um eine verhältnismäßig junge Form von Angeboten, die bisher noch keine ausreichende gesetzlich Regulierung erfahren hat. Die Interpretation genanalytischer Tests zu Zwecken der Ernährungsberatung erfordert darüber hinaus ausgeprägte genetische Kenntnisse und kann alternativ nicht ohne weiteres an etabliertes medizinisches Fachpersonal überantwortet werden, da diesem die erforderlichen Fähigkeiten in der Regel fehlen und Ernährungsberatung im Allgemeinen nur einen sehr kleinen Teil der gängigen medizinischen Praxis darstellt. Diese zu vertiefen würde in einigen Fällen die vorhandenen Kapazitäten überbeanspruchen, sodass die Integration nutrigenomischer Erkenntnisse auf breiterer gesellschaftlicher Ebene auch eine infrastrukturelle Herausforderung darstellt.

Der Zugang zu nutrigenomischer Testung und Beratung bringt zudem sozialethische Aspekte mit sich. Mit vertiefter Kenntnis über die Zusammenhänge von Ernährung und Krankheit scheint die Eigenverantwortung für die eigene Gesundheit zu steigen, was mit einem gesellschaftlichen Druck zu gesunder Ernährung verbunden sein könnte. Es besteht nicht nur die Befürchtung, dass Essen sich in seiner Funktion von einem sozial wichtigen Genussmittel zu Medizin wandeln könnte, darüber hinaus wird angenommen, dass sich die Qualität der Pflege im Krankheitsfall aufgrund von Schuldzuschreibungen und Stigmatisierungen verschlechtern könnte. Hinzukommt, dass die Nutzbarkeit nutrigenomischer Angebote und Erkenntnisse häufig eng an individuellen Wohlstand geknüpft ist, weil nutrigenomische Beratung oft kostspielig und gesunde individuell angepasste Nahrung für viele Menschen nicht bezahlbar ist.

Letztlich besteht die Befürchtung, dass eine umfassende Kenntnis der genetischen Veranlagung verschiedener Menschen und ihrer individuellen gesundheitlichen Risikoeinstufung zu einer Form genetischer Diskriminierung führt, zum Beispiel in Form unterschiedlich hoher Sätze bei der Krankenversicherung.

Für weitere Informationen siehe etwa:

Bhargava, A. / Srivastava, S. (2017): Nutrigenomics. The future of human health. In: Bhargava, A. / Srivastava, S. (eds): Biotechnology. Recent trends and emerging dimensions. Boca Raton: CRC Press, 89–104. (Englisch)

Carlberg, C. / Klotz, L.-O. / Molnár, F. (2022): Nutrigenomik. Genen und unsere Ernährung. Berlin/Heidelberg: Springer Spektrum.

Castle, D. / Ries, N. M. (2007): Ethical, legal and social issues in nutrigenomics: The challenges of regulating service delivery and building health professional capacity. In: Mutation Research 622, 138–143. (Englisch)

Hurlimann, T. / Muz, V. / Graham, J. / Robitaille, J. / Vohl, M.-C. / Godard, B. (2014): Risks of nutrigenomics and nutrigenetics? What the scientists say. In: Genes Nutr. (9), 370. (Englisch)

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