PID und Keimbahntherapie

Die Keimbahntherapie, die darauf abzielt, die Übertragung schwerer Erbkrankheiten zu verhindern, ist nach wie vor umstritten. Ein maßgeblicher Grund hierfür ist, dass ihre langfristigen Auswirkungen ungewiss sind. Folglich wird von verschiedenen Seiten gefordert, ihre Anwendung auf solche Fälle zu beschränken, in denen andere Behandlungsmöglichkeiten als unzureichend gelten. Eine mögliche Alternative stellt die Präimplantationsdiagnostik (PID) dar, da auch durch ihren Einsatz die Übertragung schwerer Krankheiten verhindert werden kann. Doch dieses Verfahren ist in einigen Fällen  unzureichend, da hier nur die Untersuchung und Auswahl von Embryonen ermöglicht wird. So bietet die PID in Fällen, in denen beide Elternteile denselben rezessiven Gendefekt aufweisen, beispielsweise keine praktikable Lösung.

Darüber hinaus ist umstritten, ob es sich bei der PID überhaupt um eine gleichwertige Alternative zu den Möglichkeiten der Behandlung mit Hilfe der Genomeditierung handelt. Die PID beinhaltet beispielsweise das Verwerfen von Embryonen, die als Träger einer schweren Erbkrankheit identifiziert werden konnten. Denn die PID kann nur selektieren und im Gegensatz zur Genomeditierung nicht kurativ eingreifen. Nach dem aktuellen Stand der Forschung würde eine mögliche Keimbahnintervention jedoch auch die anschließende Durchführung einer PID erfordern, um zu überprüfen, ob die Gene erfolgreich editiert wurden.

Die rechtlichen und moralischen Ansichten zu beiden Therapien unterscheiden sich zudem erheblich: Während die PID weithin akzeptiert und in den meisten westlichen Ländern zur gängigen Praxis geworden ist, bleibt die Keimbahntherapie verboten und höchst umstritten. Dieser Kontrast ist besonders auffällig, da beide Technologien zwar in ihrer Anwendung sehr unterschiedlich sind, jedoch ähnliche ethische Bedenken aufwerfen und diesen ähnlich begegnen.

In Bezug auf Bedenken hinsichtlich der Menschenwürde und der körperlichen Unversehrtheit scheint es, dass diese Bedenken nicht mehr Gewicht haben als im Fall der PID, solange die Keimbahntherapie nur den Ersatz defekter Gene durch gesunde Versionen desselben Gens und nicht die Einführung völlig neuer Gene beinhaltet. Ebenso entstehen aus beiden Therapieformen Bedenken hinsichtlich der Begünstigung von Diskriminierung und eines Dammbruchs. Solange sie jedoch für ihre therapeutischen Zwecke anerkannt und durch geeignete Vorschriften eingegrenzt sind, dürften diese Bedenken in beiden Fällen nur eingeschränkt ins Gewicht fallen.

Ein entscheidender Punkt, an dem die Bedenken voneinander abweichen, betrifft ihre zukünftigen Auswirkungen und das sogenannte Nicht-Identitätsproblem (NIP). Dieses besagt, dass eine bestimmte Person dann nicht durch einer in der Gegenwart getroffene Entscheidung geschädigt werden kann, wenn diese Entscheidung zugleich bestimmt, ob diese Person in der Zukunft zur Existenz kommen wird. Auf die PID angewendet bedeutet dies, dass die Entscheidung, einen Embryo mit oder ohne genetische Erkrankung zu implantieren, keinem bestimmten Kind schadet, da die Existenz dieses Kindes von der Entscheidung zur Implantation abhängt. Bei der Keimbahntherapie verhält sich dies anders, da wir nicht zwischen Existenz und Nicht-Existenz wählen, sondern zwischen der Veränderung und Nicht-Veränderung desselben Embryos. Um festzustellen, ob die Keimbahntherapie einem bestimmten Kind schadet, müssen mehrere Faktoren bewertet werden. Erstens ist zu klären, ob die Keimbahntherapie die Identität des zukünftigen Kindes verändert. Zweitens ist zu beurteilen, ob die Veränderung des Embryos eine notwendige Voraussetzung für die Implantation ist. Wenn die Keimbahntherapie eine notwendige Voraussetzung für die Implantation ist, gilt das NIP. Wenn dies nicht der Fall ist, besteht ein Schadenspotenzial, und das Verhältnis von Nutzen und Schaden muss sorgfältig abgewogen werden.

Es bleibt zu klären, ob dieser Unterschied bedeutend genug ist, um die großen Abweichungen in der Gesetzgebung und der öffentlichen Meinung zu rechtfertigen. 

Weiterführende Informationen:

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