Kontroverse um genomeditierende Verfahren bei Lebens- und Futtermitteln

Zentraler Streitpunkt ist vor allem die abweichende Auslegung der Freisetzungsrichtlinie (2001/18/EG). So herrscht beispielsweise Uneinigkeit darüber, ob der Begriff des GVO darin prozessorientiert oder ergebnisorientiert zu verstehen ist. Bei der Prozessorientierung liegt der Fokus des Bewertungskriteriums auf dem Herstellungsverfahren, wohingegen bei der Ergebnisorientierung der Fokus auf dem Produkt des Herstellungsverfahrens liegt.

Hinsichtlich des Erzeugungsprozesses, so argumentieren etwa Ludwig Krämer und Tade Spranger, fallen unter Anwendung der CRISPR-Cas9-Technik hervorgebrachte Organismen eindeutig unter diese Bestimmungen. Da die erzeugten Organismen im Ergebnis aber auch mit Hilfe herkömmlicher Züchtungsmethoden hätten entstehen können, kommt eine Stellungnahme des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) vom 28. Februar 2017 zu dem Schluss, dass diese nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. 

Weiterführende Informationen:

Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 Online Version

Rechtsgutachten von Prof. Dr. Ludwig Krämer Online Version (Englisch)

Rechtsgutachten von Prof. Dr. Dr. Tade Spranger Online Version (Englisch)

Stellungnahme zur gentechnikrechtlichen Einordnung von neuen Pflanzenzüchtungstechniken, insbesondere ODM und CRISPR-Cas9 des BVL Online Version

Hintergrundinformationen zum EuGH-Verfahren in der Rechtssache C-528/16 können hier eingesehen werden:

Vorabentscheidungsersuchen des französischen Conseil d’État vom 17. Oktober 2016, Rechtssache C-528/16. Online Version

Gerichtshof der Europäischen Union: Pressemitteilung Nr. 4/18 vom 18. Januar 2018, Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-528/16. Online Version

Gerichtshof der Europäischen Union: Pressemitteilung Nr. 111/18 vom 25. Juli 2018, Urteil in der Rechtssache C-528/16. Online Version 

Volltext des EuGH-Urteils in der Rechtssache C-528/16 vom 25. Juli 2018. Online Version

Europäische Kommission (2021): Untersuchung zu dem Status neuartiger genomischer Verfahren im Rahmen des Unionsrechts und im Lichte des Urteils des Gerichtshof in der Rechtssache C-528/16 (Zusammenfassung). Online Version 

Das Positionspapier von Angehörigen einer Vielzahl europäischer Forschungsorganisationen kann hier eingesehen werden: 

European Academies’ Science Advisory Council (EASAC) (2015): New breeding techniques. Online Version (Englisch) 

European scientists unite to safeguard precision breeding for sustainable agriculture (2018). Online Version (Englisch) 

Bericht der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH) (2018): Vorsorge im Umweltbereich. Ethische Anforderungen an die Regulierung neuer Biotechnologien Online Version

Öffentliche Stellungnahme europäischer wissenschaftlich Tätigen (2019) Online Version

Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina / Deutsche Akademie der Technikwissenschaften / Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (2015): Akademien nehmen Stellung zu Fortschritten der molekularen Züchtung und zum erwogenen nationalen Anbauverbot gentechnisch veränderter Pflanzen. Online Version

Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina / Deutsche Forschungsgemeinschaft / Union der deutschen Akademie der Wissenschaften (2019): Wege zu einer wissenschaftlich begründeten, differenzierten Regulierung genomeditierter Pflanzen in der EU. Kurzfassung der Stellungnahme. Online Version

Kritische Positionen und Forderungen einer Anpassung der Rechtslage werden auch auf deutscher Ebene geäußert. Siehe z. B.: 

Grüne Gentechnik e.V. / Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland (2018): Offener Brief an die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek und die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner. Nach dem EuGH-Urteil zu Genome Editing – Die Politik ist am Zug. Online Version

BUND e.V. (2021): Gemeinsames Positionspapier "Gentechnik auch in Zukunft streng regulieren!" von 94 Verbänden. Online Version

Ergänzend zur Diskussion auf der EU-Ebene hat in Deutschland der Bundesrat einen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes vorgelegt, das auch auf „neue Gentechnikverfahren" wie die CRISPR-Cas9-Technik Bezug nimmt. Von Opposition und Umweltverbänden erfuhr dieser Entwurf viel Kritik. Seine Annahme scheiterte im Mai 2017, da sich Bundesrat und Bundesregierung nicht auf Änderungsvorschläge einigen konnten. Im Koalitionsvertrag der seitdem neu zusammengesetzten Bundesregierung wird angekündigt, die Entscheidung des EuGH wenn nötig durch Regelungen „auf europäischer oder gegebenenfalls nationaler Ebene" umzusetzen, „die das Vorsorgeprinzip und die Wahlfreiheit gewährleisten." (Koalitionsvertrag, S. 84).

Der abgelehnte Gesetzentwurf kann hier abgerufen werden: Drucksache 18/10459. Online Version

Pressemitteilung des Deutschen Bundestages vom 26. Januar 2017: „Gentechnikgesetz enttäuscht Bundesrat" Online Version 

Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD der 19. Legislaturperiode vom 12. März 2018. Online Version

Ein einführender Überblick zu dem Gegenstand der Diskussion findet sich z. B. hier

Irmer, Juliette (2016): Gentechnik mit ohne Gene? In: Spektrum (04.04.2016). Online Version

Einen Überblick über die für die Debatte relevanten Erwägungsgründe lieferte auch die Diskussionsveranstaltung „Brauchen wir eine neue Gentechnik‐Definition? Naturwissenschaftliche, ethische und rechtliche Perspektiven der Regulierung genom-editierter Pflanzen", welche am 14. Februar 2017 von der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, dem Deutschen Ethikrat und der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Berlin ausgerichtet wurde:

Zusammenfassung der Diskussionsveranstaltung Online Version

Der Status genomeditierender Verfahren ist in anderen Ländern unterschiedlich. So gab etwa das U.S. Department of Agriculture (USDA) im Jahre 2018 eine Stellungnahme heraus, in dem es klarstellte, dass es keine Pflanzen reguliere, die Veränderungen aufwiesen, welche auch durch konventionelle Züchtungsmethoden erreicht werden könnten. Dies betreffe auch den Einsatz präziser Methoden zur Genomeditierung, wie z. B. CRISPR-Cas9. Das USDA sagte, es wolle Innovation nicht behindern, solange damit keine erwiesenen Risiken verbunden seien.

Stellungnahme des USDA (2018) Online Version (Englisch)

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