Neuzeit

Zum klassischen, nahezu unverzichtbaren Instrument der medizinischen Forschung wurden Tierversuche erst in der Neuzeit, obwohl es bereits in der Antike anatomische und auch physiologische Untersuchungen an Tieren gab. Zur Etablierung des Tierversuchs als Forschungsinstrument hat wesentlich der französische Physiologe Claude Bernard (1813-1878) beigetragen.

Bernard legte gewissermaßen die wissenschaftstheoretischen Grundlagen für eine experimentelle medizinische Forschung. Lange hatte man angenommen, dass die Medizin - im Gegensatz zu Chemie und Physik - keine Wissenschaft sein könne. Der zu jener Zeit verbreitete Vitalismus vertrat die Auffassung, alles Lebendige sei von einer Lebenskraft durchdrungen; organische Prozesse unterständen keinen Gesetzmäßigkeiten, hätten keine Kausalursachen und seien folglich nicht vorhersagbar. Entsprechend seien sie einer wissenschaftlichen Untersuchung nicht zugänglich. Bernard etablierte demgegenüber die Auffassung, auch Lebensphänomene - wie physiologische Prozesse oder Krankheitszustände - könnten wissenschaftlich erforscht werden, denn auch alle körperlichen Prozesse folgten unveränderlichen Naturgesetzen (Determinismus).

Bernard lehnte die "passive Krankenhausmedizin", d. h. die Beobachtung von Patient*innen und die Analyse von Gewebeproben etc., ab. Stattdessen forderte er, in der Wissenschaft tätige Personen müssten im Laborversuch gezielt Einfluss auf einzelne physiologische Faktoren nehmen und die Folgen studieren. Das aus solchen Laborexperimenten - insbesondere Tierversuchen - resultierende Wissen könne dann helfen, die Ursachen von Krankheiten zu verstehen und bei der Entwicklung neuer Therapieverfahren dienlich sein. Bernard legte sein Konzept einer medizinischen Forschung in dem Buch "Einführung in das Studium der experimentellen Medizin" dar, das vermutlich noch das gegenwärtige Wissenschaftsverständnis entscheidend prägt.

Bernard, Claude (1961): Einführung in das Studium der experimentellen Medizin (Introduction à l'étude de la médicine expérimentale. Paris, 1865). Leipzig: Johann Ambrosius Barth (Sudhoffs Klassiker der Medizin 35).

Zur Entwicklung des Tierversuchs und zur frühen Debatte um die naturwissenschaftliche und ethische Rechtfertigung von Tierversuchen:

Bretschneider, Hubert (1962): Der Streit um die Vivisektion im 19. Jahrhundert. Verlauf - Argumente - Ergebnisse. Stuttgart: Gustav Fischer (Medizin in Geschichte und Kultur 2).

Maehle, Andreas-Holger (1990): Die Anfänge der Diskussion um den wissenschaftlichen Tierversuch im 17. und 18. Jahrhundert. Die ersten Standpunkte und ihre Begründungen. Göttingen [Med. Habil.].

Tröhler, Ulrich (1985): Die Geschichte des wissenschaftlichen Tierversuchs, seiner Begründung und Bekämpfung. In: Ullrich, Karl. J. / Creutzfeldt, Otto D. (Hg.): Gesundheit und Tierschutz. Wissenschaftler melden sich zu Wort. Düsseldorf-Wien: Econ Verlag, 47-93.

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