Speziesismus

Singers Diskriminierungsvorwurf bedarf einer vertiefenden Darstellung.

Eine Diskriminierung ist (nach gängigem Verständnis) eine Verletzung des Prinzips der Gleichheit. Wenn zwei in moralischer Hinsicht gleiche Lebewesen ungleich behandelt werden, ist dies gegenüber dem benachteiligten Lebewesen diskriminierend. Aber wer kann als in moralischer Hinsicht gleich gelten?

Die Antwort auf diese Frage hängt wiederum davon ab, welche Eigenschaften von Lebewesen als moralisch relevant anerkannt werden. Dass Hautfarbe, Intelligenz und Sexualität nicht moralisch relevant sind, zählt zum Selbstverständnis westlicher Gesellschaften. Die Benachteiligung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres Geschlechts gilt deshalb als Diskriminierung. Aber die Spezieszugehörigkeit?

Wenn, wie Singer behauptet, das einzige moralisch relevante Merkmal die Leidensfähigkeit eines Lebewesens ist, dann sind alle Lebewesen mit gleicher Leidensfähigkeit in moralischer Hinsicht gleich, unabhängig davon, welcher Spezies sie angehören und welche Eigenschaften sie ansonsten aufweisen (zum Beispiel Klugheit, Sprachfähigkeit oder Fähigkeit zu moralischem Handeln). Diese fundamentale Gleichheit macht für Singer die Nutzung von Tieren in der Nahrungsmittelindustrie oder in der biomedizinischen Forschung zu einer Diskriminierung. In Singers eigenen Worten:

"Rassisten verletzen das Prinzip der Gleichheit, indem sie bei einer Kollision ihrer eigenen Interessen mit denen einer anderen Rasse den Interessen von Mitgliedern ihrer eigenen Rasse größeres Gewicht beimessen. (...) Ähnlich messen jene, die ich Speziesisten nennen möchte, da, wo es zu einer Kollision ihrer Interessen mit denen von Angehörigen einer anderen Spezies kommt, den Interessen der eigenen Spezies größeres Gewicht bei. Menschliche Speziesisten erkennen nicht an, dass der Schmerz, den Schweine oder Mäuse verspüren, ebenso schlimm ist wie der von Menschen verspürte".

Singer, Peter: Praktische Ethik (Practical ethics. 1993). 2. revidierte und erweiterte Auflage. Stuttgart: Reclam, 85 f.

Singers Ansatz wurde von verschiedenen Seiten diskutiert. Kritische Stimmen weisen vor allem darauf hin, dass die moralische Sonderstellung des Menschen nicht in seiner bloßen Spezieszugehörigkeit begründet sei.

1) Moralfähigkeit und Intelligenz (Bonnie Steinbock)

Zum einen wird kritisiert, Singers Ansatz lege nahe, die Gleichheit der Menschen als lediglich gleiche Empfindungsfähigkeit zu verstehen. Dagegen wird angeführt, innerhalb der menschlichen Spezies bestehe rassen-, geschlechts- und sexualitätsübergreifend eine Gleichheit, die über bloß gleiche Empfindungsfähigkeit hinausgehe. Prinzipiell zeichneten sich alle Menschen durch ihre Fähigkeit zu moralischem, das heißt die Interessen anderer Lebewesen berücksichtigendem, Handeln, sowie durch den Wunsch nach Autonomie, Würde und Respekt, aus.

Anders als Singer vertreten verschiedene Autor*innen die Auffassung, dass derartige Eigenschaften moralisch relevant seien. Damit sei auch die Höherbewertung menschlicher Interessen keine Diskriminierung.

2) Gleichheit nicht als faktische Gleichheit (Heike Baranzke)

Von anderer Seite wird darauf verwiesen, dass die Gleichheit der Menschen nicht auf einem von allen Menschen geteilten "Eigenschaftsset" beruhe, sondern gerade unabhängig von allen Eigenschaften sei. Der Fehler der Rassist*innen, Sexist*innen oder Heterosexist*innen wäre dann nicht, dass sie eine moralisch irrelevante Ungleichheit (Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität) stärker gewichten als die wesentlichere und allein moralisch relevante Gleichheit (Intelligenz, Fähigkeit zu moralischem Handeln). Vielmehr begingen sie den Fehler, den "Wert" eines Menschen überhaupt von seinen Eigenschaften abhängig zu machen. Anders gesagt: der Kern des Gleichheitsgedankens sei nicht deskriptiv (beschreibend), sondern normativ (vorschreibend).

Vor dem Hintergrund dieser Kritik ist es schwierig, Kriterien zu benennen, die andere als menschliche Wesen erfüllen müssten, um in gleicher Weise berücksichtigenswert zu sein.

Singer, Peter (1982): Befreiung der Tiere. Eine neue Ethik zur Behandlung der Tiere (Animal liberation - a new ethics for our treatment of animals, 1975). München: F. Hirthammer Verlag, insbesondere 20-45.

Singer, Peter (1994): Praktische Ethik (Practical ethics, 1979). 2. revidierte und überarbeitete Aufl. Stuttgart: Reclam, insbesondere 82-115.

Zahlreiche Autor*innen haben sich mit Singers Argumentation auseinandergesetzt. Die folgenden Texte stellen nur eine kleine Auswahl dar.

Baranzke, Heike (2002): "Alle Tiere sind gleich". Peter Singers Tierbefreiungsbewegung und ihre anthropologischen und ethischen Implikationen. In: Boloz, Wojciech / Höver, Gerhard (Hg): Utilitarismus in der Bioethik: seine Voraussetzungen und Folgen am Beispiel der Anschauungen von Peter Singer. Münster: LIT (Symposion : Anstöße zur interdisziplinären Verständigung 2), 101-154.

Steinbock, Bonnie (1978): Specieism and the Idea of Equality. In: Philosophy 53 (204), 247-256.

Flury, Andreas (1999): Der moralische Status der Tiere: Henry Salt, Peter Singer und Tom Regan. Freiburg/Br.: Alber (Alber-Reihe praktische Philosophie 57).

Ach, Johann S. (1999): Warum man Lassie nicht quälen darf. Tierversuche und moralischer Individualismus. Erlangen: Fischer (Reihe Tierrechte - Menschenpflichten 2), bes. 106-159.

Nussbaum, Martha C. (2004): Beyond "Compassion and Humanity". Justice for Nonhuman Animals. In: Sunstein, Cass R. / Nussbaum, Martha C. (ed.): Animal rights: current debates and new directions New York: Oxford Univ. Press, 299-320.

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