Patientenverfügungen

I. Einführung

Der medizinische Fortschritt macht es heute möglich, dass viele Krankheiten und Verletzungen, die früher zwangsläufig zum Tode geführt haben, erfolgreich behandelt werden können. Dies ist zwar einerseits für viele Menschen mit Hoffnungen und Chancen verbunden, kann aber andererseits auch zu neuen Zuständen der Hilflosigkeit führen.

Die Frage, ob medizinische Maßnahmen eingesetzt bzw. fortgeführt werden, muss im Einzelfall jede Person selbst entscheiden. Infolge eines Unfalls, einer schweren Erkrankung oder auch durch Nachlassen der kognitiven Fähigkeiten im Alter kann es jedoch dazu kommen, dass eine Person ihren eigenen Willen nicht mehr äußern kann. In diesen Fällen ist es Aufgabe der ärztlichen Fachpersonen sowie der Angehörigen, den mutmaßlichen Willen der zu behandelnden Person zu ermitteln. Eine Hilfe kann in solchen Situationen eine von der zu behandelnden Person verfasste Patient*innenverfügung sein.

Unter einer Patient*innenverfügung wird nach allgemeinem Verständnis die Willenserklärung eines entscheidungsfähigen Menschen verstanden, die dieser für den Fall abfasst, dass er nicht mehr in der Lage ist, bestimmten medizinischen Maßnahmen zuzustimmen oder diese abzulehnen. Gegenstand einer Patient*innenverfügung kann sowohl die Unterlassung oder Begrenzung als auch die Vornahme bestimmter medizinischer Handlungen sein. 

Der Zweck einer solchen Verfügung ist es, das Selbstbestimmungsrecht der nicht mehr einwilligungsfähigen Person zu wahren. Die Verfügung richtet sich an das behandelnde ärztliche Fachpersonal und/oder die gesetzliche Vertretung. Der gelegentlich verwendete Begriff des Patient*innentestaments ist irreführend, da Testamente für Regelungen nach dem Tod verfasst werden, Patient*innenverfügungen aber Regelungen für die Zeit vor dem Tod enthalten. 

Das erste Formular einer Patient*innenverfügung wurde in Deutschland im Jahr 1978 herausgegeben. In den folgenden Jahren wurden vergleichbare Formulare von verschiedenen Organisationen (etwa von Selbsthilfegruppen, Senior*innenverbänden, Hospizvereinen, Pharmafirmen, Kirchen usw.) erarbeitet. Seit Ende der neunziger Jahre werden Patient*innenverfügungen zwar zunehmend anerkannt, ein Gesetz über die gesetzliche Verankerung von Patient*innenverfügungen ist in Deutschland jedoch erst im September 2009 in Kraft getreten. 

Die Patient*innenverfügung muss abgegrenzt werden von der Vorsorgevollmacht und der Betreuungsverfügung. Mit einer Vorsorgevollmacht wird eine Vertrauensperson ermächtigt, Entscheidungen über ärztliche Eingriffe oder andere persönliche Angelegenheiten zu treffen. Eine solche Vollmacht benötigen selbst nahe Angehörige (z. B. Ehepartner*innen oder Kinder), um stellvertretend für die zu behandelnde Person entscheiden zu können. Eine Betreuungsverfügung bietet die Möglichkeit, schriftlich für den Fall der Einrichtung einer Betreuung durch das Vormundschaftsgericht Vorschläge hinsichtlich der betreuenden Person sowie der Art und Weise der Durchführung der Betreuung zu machen.

II. Rechtliche Regelungen

Deutschland

Bereits seit Ende der 1990er Jahre wurden in Deutschland vermehrt Forderungen nach einer gesetzlichen Regelung von Patient*innenverfügungen laut. Im Laufe der Jahre wurden unterschiedliche Empfehlungen, Stellungnahmen und Gesetzesentwürfe von verschiedenen Institutionen veröffentlicht, die den Weg zu einem Patientenverfügungsgesetz maßgeblich mitbestimmt haben.

Gesetzlich anerkannt und geregelt wurden Patient*innenverfügungen in Deutschland erst durch das am 18. Juni 2009 beschlossene, vom Bundesrat am 10. Juli 2009 gebilligte und am 01. September 2009 in Kraft getretene Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts. Den Kern der auch als „Patientenverfügungsgesetz“ bezeichneten Vorschriften bilden die §§ 1901a, 1901b, 1904 BGB.

Als Patient*innenverfügung wird in § 1901a Absatz 1 Satz 1 BGB die Einwilligung oder Untersagung „in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen […], Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe“ definiert. § 1901a BGB legt fest, dass eine Patient*innenverfügung von einer einwilligungsfähigen volljährigen Person schriftlich verfasst werden muss (§ 1901a Absatz 1 Satz 1 BGB), aber jederzeit formlos widerrufen werden kann (§ 1901a Absatz 1 Satz 3 BGB). Die Einwilligungsfähigkeit ist rechtlich definiert als die Fähigkeit der zu behandelnden Person, Wesen, Bedeutung und Tragweite der Behandlung in Grundzügen zu verstehen. Wann eine Person volljährig ist, regelt § 2 BGB. Nach dieser Vorschrift wird die Volljährigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahres erlangt. Vor Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung konnten auch einwilligungsfähige Minderjährige eine Patient*innenverfügung verfassen. 

Eine Patient*innenverfügung ist allerdings nur dann bindend, wenn die in der Verfügung festgelegten Wünsche und Vorstellungen der zu behandelnden der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation entsprechen (§ 1901a Absatz 1 Satz 1 BGB). Dies muss von einer Betreuungsperson geprüft werden.

Wurde eine Patient*innenverfügung rechtmäßig verfasst und trifft die Festlegung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, so hat die Betreuungsperson dem Willen der betreuten Person Geltung zu verschaffen. Ist dies nicht der Fall, so muss der mutmaßliche Wille der betreuten Person festgestellt und beachtet werden (§ 1901 Absatz 2 BGB).

Gem. § 1901a Absatz 3 BGB gelten die Absätze 1 und 2 unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung der betreuten Person. Damit wird eine sogenannte Reichweitenbeschränkung, beispielsweise nur auf tödlich verlaufende Erkrankungen oder nur bei unumkehrbarem Bewusstseinsverlust, abgelehnt. Somit kann in einer Patient*innenverfügung grundsätzlich die Unterlassung jeder medizinischen Maßnahme gefordert werden, also auch solcher, die eine Genesung oder wenigstens eine längere Lebenszeit erwarten lassen. Besondere Probleme können entstehen, wenn Patient*innenverfügungen den Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen für den Fall einer späten Demenzerkrankung enthalten, die tatsächlich dement gewordene Person dann aber Anzeichen von Lebensfreude zeigt.

Während in § 1901a formelle und materielle Voraussetzungen verbindlicher Patient*innenverfügungen normiert sind, regelt § 1901b die Frage, wer zur Prüfung dieser Voraussetzungen und ggf. zur Umsetzung einer wirksamen Patient*innenverfügung berufen ist. Wenn eine volljährige Person aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung ihre „Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen“ (§ 1896 Absatz 1 BGB) kann, so muss es eine Vertretung geben, die an ihrer Stelle und mit Außenwirkung für sie entscheidet. Hat die betroffene Person selbst nicht vorgesorgt, so wird vom Betreuungsgericht eine gestezliche Betreuung für die Aufgabenbereiche, in denen eine Betreuung erforderlich ist, benannt (§ 1896 Absatz 2 Satz 1 BGB).

Der mutmaßliche Wille ist gem. § 1901a Absatz 2 Satz 2 aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln, wobei insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen der Betreuerin bzw. des Betreuten zu berücksichtigen sind (§ 1901a Absatz 2 Satz 3).

Aufgabe des ärztlichen Fachpersonals ist es zu prüfen, welche ärztlichen Maßnahmen im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose der zu behandelnden Person indiziert sind (§ 1901b Absatz 1 Satz 1). Ärztliche Fachkraft und Betreuungsperson müssen dann gemeinsam erörtern, welche dieser Maßnahmen im Sinne der zu behandelnden Person vorgenommen werden sollen (§ 1901b Absatz 1 Satz 2). Wenn zwischen der ärztlichen Fachperson und der Betreuungsperson über die Beurteilung einer Patient*innenverfügung kein Einvernehmen besteht, so ist eine Beurteilung des Betreuungsgerichts notwendig (§ 1904 Absatz 4 BGB).

Eine solche Einwilligung ist außerdem dann erforderlich, wenn die begründete Gefahr besteht, dass die betreute Person aufgrund der geplanten Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet (§ 1904 Absatz 1 Satz 1 BGB). Ohne eine Genehmigung des Betreuungsgerichts darf eine Maßnahme nur dann vorgenommen werden, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist (§ 1904 Absatz 1 Satz 2 BGB).

Die Implikationen des an dieser Stelle erläuterten "Patientenverfügungsgesetzes" wurden in einem Urteil des Bundesgerichtshofes im Juni 2010 noch einmal gestärkt und konkretisiert. Damit wurde in Deutschland die rechtswissenschaftliche Diskussion über die Rechtsnatur von Patient*innenverfügungen vorübergehend beendet. Durch das Haager Übereinkommen zum internationalen Schutz Erwachsener (ESÜ) ist es nunmehr auch möglich, eine deutsche Vorsorgevollmacht im europäischen Ausland zu verwenden. 

Im Jahr 2016 kam es dann zu einer folgenreichen Revision. Anlässlich einer Klage hat der Bundesgerichtshof die bis dahin geltende Rechtslage präzisiert, mit im Ergebnis weitreichenden Konsequenzen für einen großen Teil bereits bestehender Patient*innenverfügungen. In seinem Urteil vom 06. Juli 2016 hält der BGH fest, dass Patient*innenverfügungen mit Blick auf mögliche Behandlungsformen ausreichend präzise formuliert sein müssen, um Rechtswirksamkeit zu erlangen. Eine allgemeine Formulierung, wie diejenige, dass unter bestimmten Umständen keine „lebensverlängernden Maßnahmen“ mehr erfolgen sollen, entspricht danach nicht dem nötigen Präzisionserfordernis, da sie beispielsweise unbestimmt lässt, ob die fortgesetzte künstliche Ernährung mittels einer Magensonde unter derartige Maßnahmen fällt oder nicht.

Anlass für das Urteil war der Rechtsstreit zwischen verschiedenen, jeweils mit Vorsorgevollmachten ausgestatteten Angehörigen einer Patientin, deren Patient*innenverfügung die erwähnte allgemeine Formulierung enthielt und die von den Angehörigen konträr ausgelegt wurde. In der Folge des Urteils sind nun sehr viele Betroffene aufgerufen, ihre bestehenden Patient*innenverfügungen entsprechend zu präzisieren oder auf die Notwendigkeit einer Präzisierung hin zu überprüfen. Nach Angaben des Vorstands der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, haben 30 Prozent der deutschen Bevölkerung eine derartige Verfügung abgefasst.

In einem erneuten Urteil anlässlich eines ähnlichen Rechtsstreits hat der Bundesgerichtshof am 08. Februar 2017 sein Präzisionserfordernis jedoch wieder ein Stück weit relativiert und festgestellt, dass sich im Falle einer Patient*innenverfügung, die keine hinreichend spezifische Benennung der nicht gewollten ärztlichen Maßnahmen enthält, die erforderliche Präzisierung auch als Implikation einer in der Patient*innenverfügung konkreter benannten Behandlungs- oder Krankheitssituation ergeben kann (in dem betreffenden Rechtstreit war dies der irreversible Verlust des Bewusstseins). Danach ist es in Streitfällen Aufgabe der zuständigen Rechtsinstanzen, zu überprüfen, ob sich eine Patient*innenverfügung auf derartige Implikationen hin auslegen lässt.

Rechtslage in ausgewählten europäischen Ländern

In einigen europäischen Ländern wie Schweden oder Polen ist die Verbindlichkeit von Patient*innenverfügungen nach wie vor nicht gesetzlich geregelt. Die meisten anderen europäischen Länder haben dagegen in den vergangenen Jahren Rechtsinstitute privater Vorsorge in unterschiedlichem Umfang geschaffen. Im Zentrum der jeweiligen nationalen Regelungen steht dabei stets die möglichst weitgehende Bewahrung des Selbstbestimmungsrechts. Was aber dabei unter Selbstbestimmung zu verstehen ist und wie dieser am wirkungsvollsten Geltung verschafft werden kann, darüber gibt es von Staat zu Staat unterschiedliche Auffassungen. So gibt es erhebliche Unterschiede bei der Form, dem zulässigen Inhalt sowie den Bindungswirkungen derartiger Institute privater Vorsorge. In Österreich stellt man z. B. strenge Anforderungen an eine Patient*innenverfügung, damit diese "rechtsverbindlich" ist. Hält die Verfügung diese Anforderungen (Form, ärztliche und rechtliche Aufklärung, konkrete Bezeichnung der abgelehnten ärztlichen Maßnahmen, nicht älter als fünf Jahre) nicht vollständig ein, so ist sie für das ärztliche Fachpersonal nicht verbindlich, sondern nur beachtlich, d. h. bei der Bewertung angemessen zu berücksichtigen.

Auch die Vorgaben für die Gestaltung einer Patient*innenverfügung unterscheiden sich erheblich. So sind in Frankreich etwa drei verschiedene Formen möglich, die jeweils einen anderen Grad an Verbindlichkeit begründen: die Ausfüllung eines Standardformulars, eine Rechtsberatung und Protokollierung sowie eine notariellen Urkunde. In der Schweiz und in den Niederlanden werden dagegen privatschriftliche Dokumente prinzipiell genauso behandelt wie etwa notarielle. 

Ob Entscheidungen über zukünftige medizinische Maßnahmen oder auch zur Sterbehilfe zulässig sind, ergibt sich aus den jeweiligen gesetzlichen Regelungen des medizinischen Behandlungsvertrags und der rechtlichen Einordnung der Sterbehilfe. Die Regelungen in Belgien gelten europaweit als die umfassendsten. Zu behandelnde Personen können verbindlich festlegen, welche Behandlungsmethoden sie bevorzugen und auch Situationen benennen, in denen sie aktive Sterbehilfe wünschen. Ganz anders ist die Rechtslage in Italien: Dort sieht ein Gesetz nicht nur das Verbot jeder Form von Sterbehilfe vor, sondern schließt auch aus, dass zu behandelnde Personen über die Beendigung künstlicher Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr verfügen können. 

In rechtsvergleichender Hinsicht von Interesse ist die Tatsache, dass es in den meisten europäischen Rechtsordnungen ein gesetzliches Vertretungsrecht der Ehepartner*innen bzw. eingetragenen Lebenspartner*innen oder naher Familienangehöriger gibt. Als einem der letzten Länder ohne dieses gesetzliche Vertretungsrecht wurde mittlerweile auch in Deutschland durch den Bundesrat im Mai 2021 das Notvertretungsrecht für Ehe- und Lebenspartner*innen verabschiedet, welches zum 01.01.2023 in Kraft treten wird.

III. Ethische Debatte

Im Fokus der ethischen Debatte über Patient*innenverfügungen, welche in den letzten Jahren sehr eng mit der politischen Debatte verknüpft war, stehen Fragen, die den moralischen und rechtlichen Anspruch der zu behandelnden Person auf Selbstbestimmung betreffen ebenso wie Fragen nach der Fürsorgepflicht von ärztlichen Fachkräften und Angehörigen. Teilweise überschneiden sich die Diskussionen über Patient*innenverfügungen mit denen über Sterbehilfe.

Patient*innenautonomie und ärztliche Fürsorge

Patient*innenverfügungen stellen nicht nur Angehörige, sondern auch ärztliche Fachpersonen vor schwierige Entscheidungen. Aufgabe der ärztlichen Fachperson ist es Leben zu retten bzw. zu erhalten. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein war die Beziehung zwischen zu behandelnder Person und ärztlicher Fachkraft von der Vorstellung geprägt, dass die ärztliche Fachperson aufgrund des Fachwissens besser als die betroffene Person selbst entscheiden kann, was gut für die zu behandelnde Person ist. Dieses paternalistische Bild hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Das Selbstbestimmungsrecht der zu behandelnden Person bildet nun die Grundlage medizinischer Entscheidungen, d. h. der Patient*innenwille hat Vorrang vor dem, was die ärztliche Fachkraft oder Pflegende als das Wohl der zu behandelnden Person ansehen.

Ist eine Maßnahme aus medizinischer Sicht sinnvoll, so impliziert dies daher noch nicht die Berechtigung des ärztlichen Fachpersonals, die Maßnahme durchzuführen. Dies setzt in jedem Fall die Einwilligung der zu behandelnden Person voraus. Die Patient*innenverfügung kann als Ausdruck bzw. Folge dieser Entwicklung gesehen werden – sie soll die Patient*innenautonomie auch in Situationen wahren, in denen die zu behandelnde Person entscheidungs- oder kommunikationsunfähig ist. Führt eine ärztliche Fachkraft eine Behandlung durch, obwohl die zu behandelnde Person diese ausdrücklich abgelehnt hat, dann wird nach deutschem Recht eine Körperverletzung begangen. So betrachtet endet die ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung dort, wo die zu behandelnde Person diese nicht mehr wünscht.

Unstrittig ist, dass das Selbstbestimmungsrecht der zu behandelnde Person über den Verlust der Einwilligungsfähigkeit hinaus fortwirkt – ansonsten wäre beispielsweise auch die Einwilligung in eine Narkose (in der die narkotisierte Person ja nicht einwilligungsfähig ist) ungültig. Der Wunsch einer Person muss also berücksichtigt werden, auch dann, wenn sie aktuell nicht mehr einwilligungsfähig ist.

Schwierigkeiten bei der Feststellung des Patient*innenwillens

Die theoretische Verbindlichkeit von Patient*innenverfügungen wird vor allem seit Inkrafttreten des Patientenverfügungsgesetzes kaum mehr in Frage gestellt. In der Praxis kommt es allerdings immer wieder zu Situationen, in denen trotz vorliegender Patient*innenverfügung unklar ist, ob lebenserhaltende Maßnahmen von der zu behandelnden gewünscht sind.

So kann es beispielsweise sein, dass eine Patient*innenverfügung derart formuliert wurde, dass der Wille der zu behandelnden Person nicht eindeutig bestimmbar ist. Formulierungen wie etwa „keine lebensverlängernden Maßnahmen“ bei „schwerstem körperlichen Leiden“ oder für den Fall, dass „keine Hoffnung auf Besserung eines untragbaren Zustandes“ besteht, sind sehr vage und interpretationsbedürftig. In solchen Fällen – und auch in Fällen, in denen keine Patient*innenverfügung vorliegt – muss der mutmaßliche Wille der zu behandelnden Person sorgfältig bestimmt werden; ebendies ist aber häufig sehr schwierig. Reagiert wird auf diese Problematik mit Formularen, in denen der Patient*innenwille sehr detailliert abgefragt wird. Gegen die strikte Verbindlichkeit von Patient*innenverfügungen wird in diesem Zusammenhang auch angeführt, dass es nicht möglich sei, die zukünftige Situation ausreichend konkret vorherzusehen, um genaue Behandlungsanweisungen festlegen zu können. Insbesondere im Fall des Wachkomas ist es für ärztliche Fachkräfte schwer, auf die individuellen Wünsche der zu behandelnden Personen einzugehen, da eine eindeutige Prognose über den Verlauf nicht immer gestellt werden kann. 

Befürchtet wird häufig auch, dass sich die Werte und Einstellungen einer Person im Laufe des Lebens wandeln können und dass der in einer Patient*innenverfügung erklärte Wille daher nicht unbedingt mit den Wünschen der nicht mehr einwilligungsfähigen Person übereinstimmt. Gestützt wird diese Annahme durch die Erfahrungen ärztlicher Fachkräfte, dass krankheitsbedingte Zustände oder Einschränkungen in gesunden Tagen oder zu Beginn einer Erkrankung ganz anders bewertet werden als bei fortgeschrittener Erkrankung. Dem wird aber entgegengehalten, dass die Erstellung einer solchen Verfügung eine intensive Beschäftigung mit Behandlungswünschen voraussetze, sodass sehr wohl davon ausgegangen werden könne, dass der verfügte Wille die Interessen und Werte der zu behandelnden Person widerspiegele.

Autonomie und Einwilligungsunfähigkeit

Bei einwilligungsunfähigen zu behandelnden Personen, die etwa bewusstlos sind und keine aktuellen Verhaltensäußerungen zeigen, ist klar, dass die Patient*innenautonomie nur durch den Rückgriff auf frühere Willensäußerungen respektiert werden kann. Schwieriger sind Situationen, in denen zu behandelnde Personen sich zwar verbal oder nonverbal äußern können, sich aber dennoch im Stadium der nachgewiesenen Einwilligungsunfähigkeit befinden. So kann es im Hinblick auf die Frage nach lebensverlängernden Maßnahmen vorkommen, dass aktuelle Äußerungen dem früher erklärten Willen der zu behandelnden Person zu widersprechen scheinen. In der medizinischen Praxis wird etwa von Fällen berichtet, in denen Demenzpatient*innen sich derart lebensfroh verhalten haben, dass eigentlich nicht davon auszugehen ist, dass sie der in einer Patient*innenverfügung erklärten Ablehnung solcher Maßnahmen nach wie vor zustimmen würden. Kontrovers diskutiert wird in diesem Zusammenhang auch die Frage nach der Patient*innenautonomie in der Psychiatrie, da dort Zwangsbehandlungen vorkommen. Soll in solchen Situationen dem aktuellen oder dem erklärten Willen entsprochen werden? Während die einen das Verhalten der zu behandelnden Person als Wille zum Leben deuten und diesem Willen Vorrang vor einer vorausverfügten Erklärung einräumen, sprechen sich andere für eine strikte Beachtung des in einer Patient*innenverfügung erklärten Willens aus. Zur Frage steht in diesem Zusammenhang, inwiefern demenzielle und andere neuronale Erkrankungen mit einer Veränderung der Persönlichkeit einhergehen. Gelegentlich wird behauptet, dass die krankheitsbedingte Persönlichkeitsveränderung so stark sei, dass man von einer anderen Person sprechen müsse. In diesem Sinne sei die verbindliche Verfolgung vorausverfügter Entscheidungen bedenklich, da in ihr nur der Wille der früheren Person zum Ausdruck komme. Andere wiederum argumentieren, dass es weniger bedenklich sei, den von der Person selbst verfügten Willen zu beachten, zu der zumindest eine biografische Kontinuität bestehe, als den Willen dritter Personen, die immer auch durch ihre eigenen Interessen beeinflusst würden.

Die Diskussion über die Reichweitenbeschränkung

Ein weiterer zentraler Diskussionspunkt ist die sogenannte Reichweitenbeschränkung, beziehungsweise die Frage, ob eine Patient*innenverfügung auf bestimmte Arten bzw. Stadien von Erkrankungen beschränkt werden sollte. Die deutsche Gesetzgebung hat sich gegen eine solche Beschränkung entschieden. Diese Entscheidung ist das Ergebnis einer langjährigen Debatte, in der immer wieder auch Argumente für eine Reichweitenbeschränkung hervorgebracht wurden. Die Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ beispielsweise hatte sich in ihrem Zwischenbericht zum Thema Patientenverfügungen für eine solche Beschränkung ausgesprochen. Der in einer Patient*innenverfügung erklärte Wille sollte ihrer Meinung nach nur dann Gültigkeit beanspruchen können, wenn das Grundleiden der zu behandelnden Person irreversibel und trotz medizinischer Behandlung nach ärztlicher Erkenntnis zum Tode führen würde. Gegen diesen Vorschlag wurden viele Einwände hervorgebracht, u. a., dass eine solche Entscheidung ein Werturteil über das Leben mit Krankheit darstelle, da das Leben mit Krankheit in einer Endphase als weniger schützenswert im Vergleich zu anderen Lebensphasen betrachtet werde.

Zitiervorschlag

Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (2022): Im Blickpunkt: Patientenverfügungen. URL https://www.drze.de/de/forschung-publikationen/im-blickpunkt/patientenverfuegungen[Zugriffsdatum]

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