Prädiktive genetische Diagnostik im engeren Sinne

Unter prädiktiver genetischer Diagnostik versteht man die Untersuchung an einer phänotypisch gesunden Person auf Mutationen, die zu Krankheiten im weiteren Leben disponieren. Anhand prädiktiver Testung kann also das Vorliegen einer genetisch bedingten Disposition lange vor Ausbruch der Krankheit diagnostiziert werden.
Da es sich jedoch ausschließlich um Wahrscheinlichkeitsaussagen über das Auftreten einer erblichen Krankheit handelt, variiert die Aussagekraft von Fall zu Fall. Je höher das Erkrankungsrisiko (Penetranz) einer erblich bedingten Krankheit ist, desto höher ist auch der Vorhersagewert, dass es wirklich zum Ausbruch der Krankheit kommt.
Wird beispielsweise bei einer Person anhand prädiktiver genetischer Testverfahren festgestellt, dass eine für Chorea Huntington typische Veränderung auf dem 4. Chromosom vorliegt, so wird die noch gesunde mutationstragende Person mit nahezu 100%iger Wahrscheinlichkeit im Laufe ihres Lebens an Huntington erkranken. Ungewiss bleiben allerdings der Zeitpunkt des Ausbruchs sowie der genaue Krankheitsverlauf.
Der prädiktive Wert einer Mutation, also die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Testergebnis auf das tatsächliche Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Erkrankung hinweist, kann aber auch niedrig ausfallen. So kann es durchaus sein, dass eine Disposition für eine bestimmte Krankheit (prädiktiver Wert) laut Gentest vorliegt, es jedoch nie zum Ausbruch dieser Krankheit kommt. Die Hämochromatose (eine autosomal-rezessiv erbliche Eisenspeicherkrankheit) verdeutlicht die Problematik prädiktiver Diagnostik bei niedrigpenetranten Genotypen: Wird die Hämochromatose nicht behandelt, so kommt es früher oder später zu starken, lebensverkürzenden Organschäden. Der Krankheitsausbruch kann aber durch regelmäßige Aderlässe verhindert werden. Das Problem liegt nun darin, dass nur 1–2 % derjenigen Personen, bei denen die Disposition für Hämochromatose diagnostiziert wurde, im Laufe des Lebens wirklich erkranken.

Weitere Informationen zum Thema prädiktive Diagnostik siehe:

Propping, P. / Aretz, S. / Schumacher, J. / Taupitz, J. / Guttmann, J. / Heinrichs, B. (2006): Prädiktive genetische Testverfahren. Naturwissenschaftliche, rechtliche und ethische Aspekte. Ethik in den Biowissenschaften – Sachstandsberichte des DRZE, Bd. 2. Freiburg i. Br.: Verlag Karl Alber. 

Richtlinien zur prädiktiven genetischen Diagnostik der Bundesärztekammer. Online Version

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