Stimulanzienmissbrauch von Studierenden in den USA

In einer 2010 veröffentlichten Metaanalyse derjenigen Umfragen, in denen explizit nach dem Gebrauch von verschreibungspflichtigen Stimulanzien zur Leistungssteigerung gefragt wurde, gelangen Eric Racine und Cynthia Forlini zu dem Ergebnis, dass zwischen 3 % und 13 % der Studierenden an US-Colleges diese Medikamente zu Zwecken des kognitiven Enhancements nutzen.

Racine, E. / Forlini, C. (2010): Cognitive Enhancement, Lifestyle Choice or Misuse of Prescription Drugs? Ethics Blind Spots in Current Debates. In: Neuroethics 3, 1–4. doi: 10.1007/s12152-008-9023-7 Online Version (Englisch)

Bei der Interpretation der Ergebnisse dieser und ähnlicher Umfragen ist jedoch in einigen Hinsichten Vorsicht geboten:

(1) Es dienen nicht alle nicht-medizinischen Nutzungsformen von Psychopharmaka Zwecken des kognitiven Enhancements. Nur wenige Studien zum Umgang von Studierenden mit Stimulanzien differenzieren zwischen dem Interesse an einer besseren Bewältigung der Leistungsanforderungen des Studiums und stärker genussorientierten Motiven des Drogenmissbrauchs.

(2) Es ist außerdem für jede Erhebung zu prüfen, ob sie neben dem Umgang mit Medikamenten auch den mit illegalen Drogen abfragt. Deren Einbeziehung ist zwar insofern legitim, als nicht nur unter Umgehung der Verschreibungspflicht beschaffte Psychopharmaka, sondern auch andere Stimulanzien wie Kokain oder Amphetamin aus illegalen Quellen zu Zwecken der kognitiven Leistungssteigerung eingesetzt werden können. Damit würden Erhebungen aber zu weit höheren Schätzungen der Verbreitung von Neuroenhancement gelangen. Mit entsprechender Vorsicht ist beispielsweise das Kernergebnis der bislang größten Umfrage zu den Neuroenhancement-Praktiken deutscher Studierender zu interpretieren, wonach 5 % der Befragten als Hirndopende anzusehen seien (vgl. Modul Studien zur Verbreitung kognitiven Enhancements).

(3) Weiterhin ist die Umfragemethode von Studien zu beachten, die die Verbreitung des Neuroenhancements zu untersuchen beabsichtigen, da es sich bei der Einnahme leistungssteigernder Substanzen während des Studiums um eine ethisch und teilweise auch rechtlich problematische Praxis handelt. Damit ist die Gefahr der Unterschätzung des Phänomens wegen unaufrichtiger Angaben der Teilnehmenden besonders groß. Es passt zu dieser Überlegung, dass die bislang einzige Studie, die ihren Teilnehmenden durch die Verwendung der Randomized Response Technique (vgl. Modul Randomized Response Technique) in überzeugender Weise Anonymität zugesichert hat, gegenüber vergleichbaren Umfragen einen um ein Mehrfaches höheren Anteil an Studierenden ermittelt hat, die kognitives Enhancement nutzen.

Weil jede Studie zur Verbreitung des Neuroenhancements durch die Auswahl der Umfragemethode und der fraglichen Substanzen sowie durch die Formulierung der einschlägigen Nutzungsweise erheblichen Einfluss darauf nimmt, wie viele Teilnehmende sich zum Neuroenhancement bekennen, sind diese Erhebungen nicht ohne Weiteres miteinander vergleichbar. Insbesondere ist es kaum möglich, durch den Vergleich von zu verschiedenen Zeitpunkten durchgeführten Befragungen mit unterschiedlichem Design einen Trend zum Neuroenhancement festzustellen.

Benson, K. / Flory, K. / Humphreys, K. L. / Lee, S. S. (2015): Misuse of stimulant medication among college students: a comprehensive review and meta-analysis. Clinical Child and Family Psychology Review 18 (1), 50–76. doi:10.1007/s10567-014-0177-z Online Version (Englisch)

Wilens, T. E. / Kaminski T. A. (2019): Prescription Stimulants: From Cognitive Enhancement to Misuse. Pediatric Clinics of North America 66 (6), 1109–1120. doi:10.1016/j.pcl.2019.08.006 Online Version (Englisch)

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