Potentialitätsargument

Das Potentialitätsargument bezieht sich auf das Vermögen eines menschlichen Embryos, sich zu einem Subjekt zu entwickeln. Das Argument besagt, dass selbst z. B. ungeborene oder bewusstlose Menschen, die zeitweise nicht tatsächlich bewusst handeln können, dennoch potentiell handelnde Subjekte sind und ihnen daher die Würde eines Subjekts zukommt. Da somit bereits frühe Embryonen potentielle Personen darstellen, ist die Erzeugung und Vernichtung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken Vertretenden dieses Arguments zufolge moralisch nicht zu rechtfertigen. 

Weiterführende Literatur:

Wieland, Wolfgang (2003): Pro Potentialitätsargument: Moralfähigkeit als Grundlage von Würde und Lebensschutz. In: Damschen, Gregor / Schönecker, Dieter (Hg.): Der moralische Status menschlicher Embryonen: pro und contra Spezies-, Kontinuums-, Identitäts- und Potentialitätsargument. Berlin [u.a.]: De Gruyter, 149–168. 

Schöne-Seifert, Bettina (2003): Contra Potentialitätsargument: Probleme einer traditionellen Begründung für embryonalen Lebensschutz. In: Damschen, Gregor / Schönecker, Dieter (Hg.):  Der moralische Status menschlicher Embryonen : pro und contra Spezies-, Kontinuums-, Identitäts- und Potentialitätsargument. Berlin [u.a.]: De Gruyter, 169–185.

Birnbacher, Dieter (2006): Wie überzeugend ist das Potentialitätsargument? In: Honnefelder, Ludger / Sturma, Dieter (Hg.): Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 11. Berlin [u.a.]: De Gruyter, 327–335.

Rothhaar, Markus (2010): Der manipulierbare Embryo: Konsequenzen für das Spezies- und das Potentialitätsargument. In: Dabrock, Peter / Denkhaus, Ruth / Schaede, Stephan (Hg.): Gattung Mensch: interdisziplinäre Perspektiven [Symposium 2008 in Heidelberg] 19. Tübingen: Mohr Siebeck, 325–345.

Pichl, Anja (2015): Entwicklungsbiologische Totipotenz und das ethische Potentialitätsargument: Probleme des ethischen Naturalismus in der Embryonenschutzdebatte. In: Ach, Johann S. / Denkhaus, Ruth / Lüttenberg, Beate (Hg.): Forschung an humanen embryonalen Stammzellen: aktuelle ethische Fragestellungen 13. Berlin / Münster: LIT, 29–57.

Illies, Christian (2003): Das sogenannte Potentialitätsargument am Beispiel des therapeutischen Klonens. In: Zeitschrift für Philosophische Forschung 57(2), 233–256.

Neben den Standardeinwänden, die das Argument u. a. mit Abgrenzungs- und Explikationsproblemen konfrontiert sehen, geben auch neuere Forschungserfolge mit induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) Anlass, das Potentialitätsargument zu überdenken. Wissenschaftler*innen konnten mittlerweile zeigen, dass iPS-Zellen theoretisch in der Lage sind, sich unter Zuhilfenahme des Verfahrens der tetraploiden Embryo-Komplementierung zu einem vollständigen Organismus zu entwickeln. Im Tiermodell wurde auf diese Weise bereits lebensfähiger Nachwuchs erzeugt (siehe dazu das Modul Tetraploide Embryo-Komplementierung). Dem Potentialitätsargument zufolge müsste auch diesen iPS-Zellen und somit allen somatischen Zellen, die zu iPS-Zellen reprogrammiert werden können, der moralische Status einer Person zukommen. Vor diesem Hintergrund erscheint das Potentialitätsargument ohne weitere normative Zusatzannahmen nicht plausibel.

Schoene-Seifert, Bettina / Stier, Marco (2013): The Argument from Potentiality in the Embryo Protection Debate: Finally "Depotentialized"? In: American Journal of Bioethics 13(1), 19–27. doi: 10.1080/15265161.2012.743619 Online Version (Englisch)

Stier, Marco (2014): Tetraploide Komplementierung von iPS-Zellen: Implikationen für das Potenzialitätsargument. In: Ethik in der Medizin 26, 181–194. doi: 10.1007/s00481-013-0254-8 Online Version

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