Patient*innenverfügungen

I. Einführung

Der medizinische Fortschritt macht es heute möglich, dass viele Krankheiten und Verletzungen, die früher zwangsläufig zum Tode geführt haben, erfolgreich behandelt werden können. Dies ist zwar einerseits für viele Menschen mit Hoffnungen und Chancen verbunden, kann aber andererseits auch zu neuen Zuständen der Hilflosigkeit führen. 

Die Frage, ob medizinische Maßnahmen eingesetzt bzw. fortgeführt werden, muss im Einzelfall jede Person selbst entscheiden. Infolge eines Unfalls, einer schweren Erkrankung oder auch durch Nachlassen der kognitiven Fähigkeiten im Alter kann es jedoch dazu kommen, dass eine Person ihren eigenen Willen nicht mehr äußern kann. In diesen Fällen ist es Aufgabe der ärztlichen Fachpersonen sowie der Angehörigen, den mutmaßlichen Willen der zu behandelnden Person zu ermitteln. Eine Hilfe kann in solchen Situationen eine von der zu behandelnden Person verfasste Patient*innenverfügung sein.

Der Zweck einer solchen Verfügung ist es, das Selbstbestimmungsrecht der nicht mehr einwilligungsfähigen Person zu wahren. Die Verfügung richtet sich an das behandelnde ärztliche Fachpersonal bzw. die gesetzliche Vertretung. Der gelegentlich verwendete Begriff des Patient*innentestaments ist irreführend, da Testamente für Regelungen nach dem Tod verfasst werden, Patient*innenverfügungen aber Regelungen für die Zeit vor dem Tod enthalten.

Unter einer Patient*innenverfügung wird nach allgemeinem Verständnis die Willenserklärung eines entscheidungsfähigen Erwachsenen verstanden, die dieser für den Fall abfasst, dass er nicht mehr in der Lage ist, bestimmten medizinischen Maßnahmen zuzustimmen oder diese abzulehnen. Gegenstand einer Patient*innenverfügung kann sowohl die Unterlassung oder Begrenzung als auch die Vornahme bestimmter medizinischer Handlungen sein. In Deutschland ist das Alter der Volljährigkeit bei 18 Jahren angesetzt, Minderjährigen ist es nicht möglich, eine solche, rechtskräftige Verfügung zu formulieren. Dennoch ist es über die Ländergrenzen hinweg legitim, dass Ehe- oder volljährige Beziehungspersonen bzw. Familienangehörige als Vertretungspersonen fungieren können. Deutschland hat hier mit einem Gesetz aus dem Jahr 2023 den meisten anderen europäischen Ländern nachgezogen, nach dem die gesetzliche Vertretung für Ehe- und Lebenspersonen ermöglicht wird. 

Die Patient*innenverfügung muss abgegrenzt werden von der Vorsorgevollmacht und der Betreuungsverfügung. Mit einer Vorsorgevollmacht wird eine Vertrauensperson ermächtigt, Entscheidungen über ärztliche Eingriffe oder andere persönliche Angelegenheiten zu treffen. Eine solche Vollmacht benötigen selbst nahe Angehörige (z. B. Ehepartner*innen oder Kinder), um stellvertretend für die zu behandelnde Person entscheiden zu können. Eine Betreuungsverfügung bietet die Möglichkeit, schriftlich für den Fall der Einrichtung einer Betreuung durch das Vormundschaftsgericht Vorschläge hinsichtlich der betreuenden Person sowie der Art und Weise der Durchführung der Betreuung zu machen.

Das erste Formular einer Patient*innenverfügung wurde in Deutschland im Jahr 1978 herausgegeben. In den folgenden Jahren wurden vergleichbare Formulare von verschiedenen Organisationen (etwa von Selbsthilfegruppen, Senior*innenverbänden, Hospizvereinen, Pharmafirmen, Kirchen usw.) erarbeitet. Seit Ende der neunziger Jahre werden Patient*innenverfügungen zwar zunehmend anerkannt, ein Gesetz über die gesetzliche Verankerung von Patient*innenverfügungen ist in Deutschland jedoch erst im September 2009 in Kraft getreten.

Zu beachten ist auch, dass es seit 2016 notwendig ist, die Patient*innenverfügung ausreichend differenziert zu formulieren. Nach einem Präzedenzfall vor dem Bundesgerichtshof ist es bisher notwendig, auf generalisierende Angaben wie eine insgesamte Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen zugunsten präziser Angaben von Zustimmung und Ablehnung bestimmter medizinischer Praktiken zu verzichten. Der Bundesgerichtshof entschied im Falle eines Streits zwischen zwei Parteien von Betreuungspersonen, die sich darüber uneins waren, ob eine Magensonde unter lebensverlängernde Maßnahmen fällt, dass die Patient*innenverfügung des Erkrankten nicht den erforderlichen Präzisionserfordernissen entsprach, um daraus schließen zu können, welche Maßnahmen aus seiner Perspektive als lebensverlängernd klassifiziert werden.

Für Privatpersonen ist es also sinnvoll, ihre Verfügung in Hinblick auf Präzision zu überprüfen und unter diesem Gesichtspunkt zu überarbeiten.

Dilemma von Ärzt*innen und Betreuenden

Besteht keine Patient*innenverfügung, stehen Ärzt*innen und Pflegende vor der Situation, den Willen der betreuten Person antizipieren zu müssen. Hier können sie sich insbesondere auf schriftliche oder mündliche frühere Aussagen sowie auf Aussagen der Betreuungsperson über die Patient*in stützen. Es gilt, dem Willen der Patient*in, im Rahmen des Möglichen, so wahrheitsgetreu wie möglich zu entsprechen. Ressourcengerechtigkeit und Prognose sind hier ebenfalls zu betrachten, aus ethischer Perspektive sollte allerdings der Wunsch des zu Betreuenden etwas schwerer ins Gewicht fallen.

In ein besonderes Dilemma gerät Fachpersonal, wenn es sich bei der Patient*innenverfügung um die Verfügung einer Person mit Demenz handelt, die ihre Verfügung in gesundem, zurechnungsfähigen Zustand schrieb und nun, nach schwerem Verlauf der Erkrankung, konträre Affekte aufweist. Geht man von einer dementen Person aus, die zu Beginn der Erkrankung, in einwilligungsfähigem Zustand, keinerlei lebenserhaltende Maßnahmen im Falle einer solchen Erkrankung wünschte, aber langfristig positive Affekte und Lebensfreude während dem schweren Verlauf der Erkrankung zeigt, ist das Für und Wider bezüglich passiver oder gar aktiver Sterbehilfe, wie sie in Belgien aktuell festgelegt werden kann, schwierig abzuwägen.

Hier gilt, dass die in der Verfügung festgelegten Wünsche und Vorstellungen der erkrankten Person der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation entsprechen müssen. Sind die tatsächlichen Umstände und die Situation der erkrankten Person also ausreichend divergent zu den ursprünglichen Vorstellungen, kann eine Neubewertung unter Beratschlagung mit der Betreuungsperson möglich und indiziert sein. Ist die Situation hingegen, wie von der Patientin, dem Patienten, im gesunden Zustand antizipiert, kann davon ausgegangen werden, dass die Person ihre Vorkehrungen legitimerweise traf und diese Wünsche vollumfänglich und nach besten Möglichkeiten berücksichtigt werden sollten.

II. Ethische Debatte

Im Fokus der ethischen Debatte über Patient*innenverfügungen, welche in den letzten Jahren sehr eng mit der politischen Debatte verknüpft war, stehen Fragen, die den moralischen und rechtlichen Anspruch der zu behandelnden Person auf Selbstbestimmung betreffen ebenso wie Fragen nach der Fürsorgepflicht von ärztlichen Fachkräften und Angehörigen. Teilweise überschneiden sich die Diskussionen über Patient*innenverfügungen mit denen über Sterbehilfe.

Patient*innenautonomie und ärztliche Fürsorge

Patient*innenverfügungen stellen nicht nur Angehörige, sondern auch ärztliche Fachpersonen vor schwierige Entscheidungen. Aufgabe der ärztlichen Fachperson ist es, Leben zu retten bzw. zu erhalten. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein war die Beziehung zwischen zu behandelnder Person und ärztlicher Fachkraft von der Vorstellung geprägt, dass die ärztliche Fachperson aufgrund des Fachwissens besser als die betroffene Person selbst entscheiden kann, was gut für die zu behandelnde Person ist. Dieses paternalistische Bild hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Das Selbstbestimmungsrecht der zu behandelnden Person bildet nun die Grundlage medizinischer Entscheidungen, d. h. der Patient*innenwille hat Vorrang vor dem, was die ärztliche Fachkraft oder Pflegende als das Wohl der zu behandelnden Person ansehen.

Ist eine Maßnahme aus medizinischer Sicht sinnvoll, so impliziert dies daher noch nicht die Berechtigung des ärztlichen Fachpersonals, die Maßnahme durchzuführen. Dies setzt in jedem Fall die Einwilligung der zu behandelnden Person voraus. Die Patient*innenverfügung kann als Ausdruck bzw. Folge dieser Entwicklung gesehen werden – sie soll die Patient*innenautonomie auch in Situationen wahren, in denen die zu behandelnde Person entscheidungs- oder kommunikationsunfähig ist. Führt eine ärztliche Fachkraft eine Behandlung durch, obwohl die zu behandelnde Person diese ausdrücklich abgelehnt hat, dann wird nach deutschem Recht eine Körperverletzung begangen. So betrachtet endet die ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung dort, wo die zu behandelnde Person diese nicht mehr wünscht.

Unstrittig ist, dass das Selbstbestimmungsrecht der zu behandelnde Person über den Verlust der Einwilligungsfähigkeit hinaus fortwirkt – ansonsten wäre beispielsweise auch die Einwilligung in eine Narkose (in der die narkotisierte Person ja nicht einwilligungsfähig ist) ungültig. Der Wunsch einer Person muss also berücksichtigt werden, auch dann, wenn sie aktuell nicht mehr einwilligungsfähig ist.

Schwierigkeiten bei der Feststellung des Patient*innenwillens

Die theoretische Verbindlichkeit von Patient*innenverfügungen wird kaum mehr in Frage gestellt. In der Praxis kommt es allerdings immer wieder zu Situationen, in denen trotz vorliegender Patient*innenverfügung unklar ist, ob lebenserhaltende Maßnahmen von der zu behandelnden Person gewünscht sind.

So kann es beispielsweise sein, dass eine Patient*innenverfügung derart formuliert wurde, dass der Wille der zu behandelnden Person nicht eindeutig bestimmbar ist. Formulierungen wie etwa „keine lebensverlängernden Maßnahmen“ bei „schwerstem körperlichen Leiden“ oder für den Fall, dass „keine Hoffnung auf Besserung eines untragbaren Zustandes“ besteht, sind sehr vage und interpretationsbedürftig. In solchen Fällen – und auch in Fällen, in denen keine Patient*innenverfügung vorliegt – muss der mutmaßliche Wille der zu behandelnden Person sorgfältig bestimmt werden; ebendies ist aber häufig sehr schwierig. Reagiert wird auf diese Problematik mit Formularen, in denen der Patient*innenwille sehr detailliert abgefragt wird. Gegen die strikte Verbindlichkeit von Patient*innenverfügungen wird in diesem Zusammenhang auch angeführt, dass es nicht möglich sei, die zukünftige Situation ausreichend konkret vorherzusehen, um genaue Behandlungsanweisungen festlegen zu können. Insbesondere im Fall des Wachkomas ist es für ärztliche Fachkräfte schwer, auf die individuellen Wünsche der zu behandelnden Personen einzugehen, da eine eindeutige Prognose über den Verlauf nicht immer gestellt werden kann.

Befürchtet wird häufig auch, dass sich die Werte und Einstellungen einer Person im Laufe des Lebens wandeln können und dass der in einer Patient*innenverfügung erklärte Wille daher nicht unbedingt mit den Wünschen der nicht mehr einwilligungsfähigen Person übereinstimmt. Gestützt wird diese Annahme durch die Erfahrungen ärztlicher Fachkräfte, dass krankheitsbedingte Zustände oder Einschränkungen in gesunden Tagen oder zu Beginn einer Erkrankung ganz anders bewertet werden als bei fortgeschrittener Erkrankung. Dem wird aber entgegengehalten, dass die Erstellung einer solchen Verfügung eine intensive Beschäftigung mit Behandlungswünschen voraussetze, sodass sehr wohl davon ausgegangen werden könne, dass der verfügte Wille die Interessen und Werte der zu behandelnden Person widerspiegele.

Autonomie und Einwilligungsunfähigkeit

Bei einwilligungsunfähigen zu behandelnden Personen, die etwa bewusstlos sind und keine aktuellen Verhaltensäußerungen zeigen, ist klar, dass die Patient*innenautonomie nur durch den Rückgriff auf frühere Willensäußerungen respektiert werden kann. Schwieriger sind Situationen, in denen zu behandelnde Personen sich zwar verbal oder nonverbal äußern können, sich aber dennoch im Stadium der nachgewiesenen Einwilligungsunfähigkeit befinden. So kann es im Hinblick auf die Frage nach lebensverlängernden Maßnahmen vorkommen, dass aktuelle Äußerungen dem früher erklärten Willen der zu behandelnden Person zu widersprechen scheinen. In der medizinischen Praxis wird etwa von Fällen berichtet, in denen Menschen mit starker demenzieller Erkrankung sich derart lebensfroh verhalten haben, dass eigentlich nicht davon auszugehen ist, dass sie der in einer Patient*innenverfügung erklärten Ablehnung solcher Maßnahmen nach wie vor zustimmen würden. Kontrovers diskutiert wird in diesem Zusammenhang auch die Frage nach der Patient*innenautonomie in der Psychiatrie, da dort Zwangsbehandlungen vorkommen. Soll in solchen Situationen dem aktuellen oder dem erklärten Willen entsprochen werden? Während die einen das Verhalten der zu behandelnden Person als Wille zum Leben deuten und diesem Willen Vorrang vor einer vorausverfügten Erklärung einräumen, sprechen sich andere für eine strikte Beachtung des in einer Patient*innenverfügung erklärten Willens aus. Zur Frage steht in diesem Zusammenhang, inwiefern demenzielle und andere neuronale Erkrankungen mit einer Veränderung der Persönlichkeit einhergehen. Gelegentlich wird behauptet, dass die krankheitsbedingte Persönlichkeitsveränderung so stark sei, dass man von einer anderen Person sprechen müsse. In diesem Sinne sei die verbindliche Verfolgung vorausverfügter Entscheidungen bedenklich, da in ihr nur der Wille der früheren Person zum Ausdruck komme. Andere wiederum argumentieren, dass es weniger bedenklich sei, den von der Person selbst verfügten Willen zu beachten, zu der zumindest eine biografische Kontinuität bestehe, als den Willen dritter Personen, die immer auch durch ihre eigenen Interessen beeinflusst würden.

Die Diskussion über die Reichweitenbeschränkung

Ein weiterer zentraler Diskussionspunkt ist die sogenannte Reichweitenbeschränkung, beziehungsweise die Frage, ob eine Patient*innenverfügung auf bestimmte Arten bzw. Stadien von Erkrankungen beschränkt werden sollte. Die deutsche Gesetzgebung hat sich gegen eine solche Beschränkung entschieden. Diese Entscheidung ist das Ergebnis einer langjährigen Debatte, in der immer wieder auch Argumente für eine Reichweitenbeschränkung hervorgebracht wurden. Die Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ beispielsweise, hatte sich in ihrem Zwischenbericht zum Thema Patientenverfügungen für eine solche Beschränkung ausgesprochen. Der in einer Patient*innenverfügung erklärte Wille sollte ihrer Meinung nach nur dann Gültigkeit beanspruchen können, wenn das Grundleiden der zu behandelnden Person irreversibel und trotz medizinischer Behandlung nach ärztlicher Erkenntnis zum Tode führen würde. Gegen diesen Vorschlag wurden viele Einwände hervorgebracht, u. a., dass eine solche Entscheidung ein Werturteil über das Leben mit Krankheit darstelle, da das Leben mit Krankheit in einer Endphase als weniger schützenswert im Vergleich zu anderen Lebensphasen betrachtet werde.

Zitiervorschlag

Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (2024): Im Blickpunkt: Patient*innenverfügungen. URL https://www.drze.de/de/forschung-publikationen/im-blickpunkt/patientinnenverfuegungen[Zugriffsdatum]

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