Debatte um eine gesetzliche Neuregelung der Beihilfe zur Selbsttötung in Deutschland

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat sich 2014 dafür ausgesprochen, die organisierte Beihilfe zur Selbsttötung schwer kranker Menschen unter Strafe zu stellen. Die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD hat sich daraufhin auf ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren geeinigt. Am 13. November 2014 fand eine Orientierungsdebatte im Deutschen Bundestag über das Thema „Assistierter Suizid“ statt. Im Nachgang haben Parlamentsgruppen vier Gesetzesentwürfe erarbeitet, die der Deutsche Bundestag am 2. Juli 2015 in einer ersten Lesung diskutierte. Die Gesetzesentwürfe reichen vom vollständigen Verbot der Suizidbeihilfe bis hin zur weitgehenden Legalisierung:

Renate Künast (Grüne), Petra Sitte (Linke) und Kai Gehring (Grüne) setzen sich in ihrem Gesetzesentwurf dafür ein, dass sowohl der Suizid an sich als auch die Beihilfe zu diesem weiterhin straffrei bleiben. Sterbehilfevereine sollen ebenfalls erlaubt bleiben, lediglich kommerziell arbeitende Vereine sollen verboten werden. Ärztliche Fachpersonen und Mitglieder von Vereinen, die Sterbehilfe leisten möchten, sollen verpflichtet werden, ein dokumentiertes Beratungsgespräch zu führen.

Gesetzesentwurf Online Version

Patrick Sensburg, Thomas Dörflinger, Peter Beyer und Hubert Hüppe (alle CDU/CSU) fordern in ihrem Gesetzesentwurf neben der aktiven Sterbehilfe auch die assistierte Suizidbeihilfe zu verbieten. Außerdem soll die Anstiftung zur Selbsttötung unter Strafe gestellt werden. Darüber hinaus müsse die Sterbebegleitung gestärkt werden.

Gesetzesentwurf Online Version

Peter Hintze (CDU/CSU), Carola Reimann, Karl Lauterbach und Burkhard Lischka (alle SPD) plädieren für eine Zulassung ärztlich assistierter Sterbehilfe. Dafür sind in dem Gesetzesentwurf sieben Bedingungen festgehalten: Die Person muss volljährig und einwilligungsfähig sein und an einer unumkehrbaren tödlichen Krankheit leiden, die nach dem Vier-Augen-Prinzip bestätigt wurde. Darüber hinaus muss die ärztliche Beihilfe freiwillig erfolgen, eine umfassende Beratung des Patienten stattgefunden haben und die sterbenswillige Person muss die Tat selbst durchführen.

Gesetzesentwurf Online Version

Michael Brand (CDU/CSU), Kerstin Griese (SPD), Kathrin Vogler (Die Linke) und Harald Terpe (Bündnis 90/Die Grünen) begründen in ihrem Gesetzesentwurf die Notwendigkeit, die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe zu stellen. Ein durch Angehörige oder andere  nahestehende Personen assistierter Suizid soll weiterhin nicht unter Strafe stehen.

Gesetzesentwurf Online Version

Am 5. November stimmte der Bundestag ohne Fraktionsdisziplin über die vier Gesetzesentwürfe ab. Gebilligt wurde der Gesetzesentwurf der Abgeordnetengruppe um Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD). Der Entwurf enthielt in der zweiten Lesung 309 von 599 gültigen Stimmen, in der dritten Lesung 360 Ja-Stimmen bei 233 Nein-Stimmen und 9 Enthaltungen.

Die dadurch entstandene Gesetzeslage wurde seither zunehmend als Situation der Rechtsunsicherheit empfunden und kritisiert, weil die unter Strafe gestellte "Geschäftsmäßigkeit" der Beihilfe zum Suizid, die eigentlich auf das Verbot professioneller Sterbehilfeorganisationen abzielt, in der im Gesetzestext verwendeten Formulierung zugleich unklar lasse, ob und inwieweit auch behandelnde ärztliche Fachpersonen und Palliativmediziner*innen von der Strafandrohung betroffen sind, die schmerzlindernde Präparate zur Verfügung stellen, die entweder den Eintritt des Todes beschleunigen oder aber von der behandelten Person in hoher Dosierung gezielt zur Selbsttötung verwendet werden können. Bereits ein Gespräch über Suizidbeihilfe erschien vielen ärztlichen Fachpersonen dadurch strafrechtlich riskant. Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach konstatierte dazu: "In Wahrheit hat das Gesetz kein Problem gelöst. Die Ärzte ziehen sich zurück, und schwerstkranke Patienten sind mehr allein gelassen als jemals zuvor."

Durch das Urteil des BVerfG vom 26. Februar 2020 wurde das neue Gesetz inzwischen für nichtig erklärt. Die entstandene Rechtsunsicherheit ist hierdurch beseitigt.

BVerfG (2020): Urteil des Zweiten Senats vom 26. Februar 2020. Az: 2 BvR 2347/15, Rn. 1-343. 

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