Rechtliche Regelungen zur Sterbehilfe in der Bundesrepublik

Die rechtliche Situation in der Bundesrepublik

Das Themenfeld Sterbehilfe berührt in rechtlicher Hinsicht in erster Linie Bestimmungen der Strafgesetzgebung. Dabei ist die Sterbehilfe kein Gegenstand expliziter gesetzlicher Regelungen. In konkreten Fällen wird daher geprüft, ob die den Fremdtötungsparagrafen § 211 (Mord), §§ 212 und 213 (Totschlag) und § 216 (Tötung auf Verlangen) des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) zugrunde liegenden Tatbestände erfüllt sind. Ist ärztliches Handeln involviert, greifen die Bestimmungen des ärztlichen Standesrechts bzw. der ärztlichen Berufsordnung der jeweiligen Landesärztekammern.

Der Suizid ist nach deutschem Recht kein Straftatbestand, somit bleibt auch die Beihilfe zum Suizid straflos. Hier wird in der Rechtsprechung allerdings geprüft, ob andere Straftatbestände wie Totschlag oder unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB) erfüllt werden. Bei einer Beihilfe zum Suizid durch ärztliches Fachpersonal und naher Angehöriger ist die Garantenstellung, die diese Person gegenüber dem oder der Sterbewilligen einnimmt, von besonderer Bedeutung. Die Garantenstellung beinhaltet die Strafbarkeit durch Unterlassung, die folgt, wenn der strafbare Eintritt einer Handlung (bspw. Körperverletzung) von einer Person nicht verhindert wird, obwohl diese dazu verpflichtet wäre. In der Bundesrepublik Deutschland findet fortwährend eine Debatte um eine gesetzliche Neuregelung der Sterbehilfe statt.

Deutsches Strafgesetzbuch (StGB). Online Version

Bundesministerium der Justiz. Strafgesetzbuch (StGB). § 216 Tötung auf Verlangen. Online Version

Bundesministerium der Justiz. Strafgesetzbuch (StGB). § 13 Begehen durch Unterlassen. Online Version

Bundesärztekammer (2021): (Muster-)Berufsordnung  für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte. Bekanntmachungen. MBO-Ä 1997, in der Fassung des Beschlusses des 124. Deutschen Ärztetages vom 5. Mai 2021 in Berlin. Online Version

Debatte um eine gesetzliche Neuregelung der Beihilfe zur Selbsttötung in Deutschland

Nachdem Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sich 2014 dafür aussprach, die organisierte Beihilfe zur Selbsttötung schwer kranker Menschen unter Strafe zu stellen, hat sich die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD daraufhin auf ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren geeinigt. Am 13. November 2014 fand eine Orientierungsdebatte im Deutschen Bundestag über das Thema „Assistierter Suizid“ statt. Im Nachgang haben Parlamentsgruppen vier Gesetzesentwürfe erarbeitet, welche inhaltlich vom vollständigen Verbot der Suizidbeihilfe bis hin zur weitgehenden Legalisierung reichen. Nach einer Abstimmung des Bundestags ohne Fraktionsdisziplin, wurde der Gesetzentwurf der Abgeordnetengruppe um Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD) am 5. November 2015 zugestimmt, der die geschäftsmäßige Hilfe bei der Selbsttötung unter Strafe stellt. Unter ‚geschäftsmäßig’ wird das auf Wiederholung angelegte, organisierte oder gewinnorientierte Handeln von Vereinen und Einzelpersonen verstanden. Konkret sah das Gesetz die Schaffung eines neuen Straftatbestandes im Strafgesetzbuch vor, woraus der anschließend umstrittene Paragraf 217 resultierte.

Gesetzesentwurf von Michael Brand (CDU/CSU), Kerstin Griese (SPD), Kathrin Vogler (Die Linke) und Harald Terpe (Bündnis 90/Die Grünen). Online Version

Debatte um Paragraf 217

Im neu erlassenen Paragrafen 217 hieß es dem Wortlaut nach:

(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.

Einzelfallentscheidungen von Ärzt*innen, die Hilfe zum Suizid leisten, sollten weiterhin straffrei bleiben. Auch Angehörige und Personen, die Sterbenden nahestehen, sollten im Einzelfall von dieser Strafandrohung ausgenommen sein. Die dadurch entstandene Gesetzeslage wurde seither zunehmend als Situation der Rechtsunsicherheit empfunden und kritisiert. Die Formulierung „geschäftsmäßig“ zielte eigentlich auf ein Verbot professioneller Sterbehilfeorganisationen ab. Die im Gesetzestext verwendeten Formulierung ließ allerdings unklar, ob und inwieweit auch behandelnde ärztliche Fachpersonen und Palliativmediziner*innen von der Strafandrohung betroffen sind, die schmerzlindernde Präparate zur Verfügung stellen, die entweder den Eintritt des Todes beschleunigen oder aber von der behandelten Person in hoher Dosierung gezielt zur Selbsttötung verwendet werden können. Bereits ein Gespräch über Suizidbeihilfe erschien vielen ärztlichen Fachpersonen dadurch strafrechtlich riskant.

Gegen § 217 wurden im Anschluss mehrere Verfassungsbeschwerden eingelegt.

Bundesministerium der Justiz. Strafgesetzbuch (StGB). §217 Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung. Online Version

Urteil des BVerfG vom 26. Februar 2020

Während 2017 noch eine Verfassungsbeschwerde als unzulässig zurückgewiesen wurde, hat das Bundesverfassungsgericht den Beschwerden in seinem Urteil vom 26.02.2020  weitgehend Recht gegeben und die entsprechenden Passagen im § 217 für verfassungswidrig erklärt. In seiner Begründung beruft es sich dabei auf den hohen Wert des Selbstbestimmungsrechts und der freien Entfaltung der Persönlichkeit, das auch zum Zwecke der Gewährleistung anderer Rechtsgüter nicht unverhältnismäßig stark beschränkt werden dürfe. Dieses allgemeine Persönlichkeitsrecht, das in Artikel 2 des Grundgesetzes festgeschrieben ist, umfasst nach Auffassung der Verfassungsrichter*innen „als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben“. Die darin enthaltene Freiheit, sich das Leben zu nehmen, schließe zudem die Freiheit ein, sich hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und solche Hilfe, sofern sie angeboten wird, auch in Anspruch zu nehmen. Die Schutzpflicht des Staates kann jedoch Vorrang haben, wenn festgestellt wird, dass die betroffene Person äußeren Einflüssen unterlegen ist, die ihre Selbstbestimmung einschränken. Somit wäre das Freiheitsrecht durch Vorsorge des Staates einschränkbar. Trotz der Anerkennung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben durch die Gesetzgebung, darf dieser Suizidprävention sowie die Stärkung palliativmedizinischer Behandlungsorte und -angebote betreiben und ausbauen. Besteht der Wunsch nach Selbsttötung ist diejenige Person meist auf die Hilfe einer dritten Person angewiesen. Oft handelt es sich dabei um ärztliche Fachkräfte, die mindestens das benötigte Medikament zur Lebensbeendigung verschreiben müssen. Die Bereitschaft dieser erweist sich zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung als eher gering. Trotz der Gesetzesänderung können ärztliche Fachpersonen nicht dazu verpflichtet werden, Suizidhilfe leisten zu müssen. Aus dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben leitet sich kein Anspruch gegenüber Dritten auf Suizidhilfe ab.

BVerfG (2020): Urteil des Zweiten Senats vom 26. Februar 2020. Az: 2 BvR 2347/15, Rn. 1-343. Online Version

Gesetzliche Neuregelung der Beihilfe zur Selbsttötung 2023

Im Anschluss an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in 2020 setzt sich die Debatte zur Regulierung der Beihilfe zur Selbsttötung fort. Am 06. Juli 2023 wurden zwei Gesetzesentwürfe für eine Neuregelung der Suizidhilfe im Deutschen Bundestag vorgelegt, die jedoch jeweils die Mehrheit verfehlten. Der Entwurf der Gruppe um den Abgeordneten Lars Castellucci sieht eine begrenzte Strafbarkeit vor sowie die Ausarbeitung eines Schutzkonzepts, so dass die Hilfe bei der Selbsttötung in organisierter („geschäftsmäßiger“) Form im Strafgesetzbuch durch die Wiedereinführung des Paragraf 217 verankert würde, unter bestimmten Voraussetzungen aber zu erlauben wäre. Diese Voraussetzungen beinhalten psychiatrische oder psychotherapeutische Begutachtungen, um eine die Autonomie einschränkende psychische Krankheit oder andere Faktoren, die die freie Entscheidung beeinträchtigen könnten, unbedingt auszuschließen. Der andere Entwurf der Gruppe um die Abgeordneten Katrin Helling-Plah, Renate Künast und anderer sieht eine generelle Straffreiheit vor sowie ein neues Suizidhilfegesetz mit Fokus auf ein Beratungskonzept. Dieses beinhaltet die Einrichtung staatlich anerkannter Beratungsstellen unter der Auffassung, dass jeder Person das Recht zukomme, aus einem autonom gebildeten, freien Willen heraus das eigene Leben zu beenden und dabei die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Während am ersten Entwurf die erneute Regelung im Strafgesetzbuch kritisiert wurde, die weder Betroffenen noch ärztlichen Fachpersonal helfe und Gefahr laufe, Suizidhilfe zu kriminalisieren, bestand die Kritik am zweiten Entwurf vor allem darin, dass dieser einen zu leichtfertigen Umgang mit Menschen in vulnerablen Krisen- oder Grenzsituationen darstelle und Gefahr laufe, eine gesellschaftliche Normalisierung von Suiziden herbeizuführen. An beiden Entwürfen wurde der Versuch kritisiert, eine normierte Regelung für heterogene Personengruppen zu finden. 

Zeitgleich wurde mit großer Mehrheit ein Antrag auf den Ausbau der staatlichen Suizidprävention verabschiedet. Er sieht die Erarbeitung eines Gesetzesentwurfs bis 2024 sowie den eines Konzepts für einen stärkeren Ausbau von Angeboten zur Suizidprävention sowie eines bundesweiten Präventionsdienstes vor. 

Der Wortlaut der Gesetzesentwürfe findet sich hier:

Gesetzentwurf (2022) (Gruppe um Lars Castellucci (SPD), Ansgar Heveling (CDU) und Abgeordnete von Grüne, FDP und Linken): Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Hilfe zur  Selbsttötung und zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit der  Entscheidung zur Selbsttötung vom 07. März 2022. Bundestags-Drucksache 20/904. Online Version

Gesetzentwurf (2023) (Gruppe um Katrin Helling-Plahr (FDP), Renate Künast (Grüne) und weitere Abgeordnete von SPD und Linke): Entwurf eines Gesetzes zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben und zur Regelung der Hilfe zur Selbsttötung sowie zur Änderung weiterer Gesetze vom 13. Juni 2023. Bundestags-Drucksache 20/7624/ (o.A.). Online Version

Hintergrundinformationen werden z. B. hier dargelegt:

Fiebig, P. (2023): Abstimmung über Sterbehilfe. Gesetzliche Regelung im Bundestag gescheitert. In: Deutschlandfunk (06. Juli 2023). Online Version

Deutscher Bundestag (2023): Bundestag lehnt Gesetzesentwürfe zur Reform der Sterbehilfe ab. In: Deutscher Bundestag. Online Version

Siehe zur Debatte über die Ausgestaltung und Reichweite der staatlichen Suizidprävention in diesem Zusammenhang

Entschließungsantrag (2023): Entschließungsantrag zu der dritten Beratung der Gesetzentwürfe zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Suizidhilfe und zum Entwurf eines Gesetzes zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben und zur Änderung weiterer Gesetze  – Drucksachen 20/2332 und 20/2293 –  Suizidprävention ernst nehmen – Forschung stärken und  evidenzbasierte Maßnahmen konsequent umsetzen. Bundestags-Drucksache 20 (o.A.). Online Version

Antrag (2022): Suizidprävention stärken und selbstbestimmtes Leben ermöglichen vom 22. März 2022. Bundestags-Drucksache 20/1121. Online Version

Wird geladen