Debatte zum Verordnungsentwurf zur PID

Kritiker*innen der Rechtsverordnung machen geltend, dass mit dieser eine Ausweitung des Präimplantationsdiagnostikgesetzes zugunsten einer liberaleren und breiteren Durchführung der PID begünstigt würde. So wird vielfach kritisiert, dass in dem Verordnungsentwurf keine Obergrenze für die Anzahl an PID-Zentren vorgesehen ist. Dieser geht davon aus, dass die für eine Zulassung der Zentren erforderlichen Qualifikationen die Zahl der möglichen Kandidaten ausreichend begrenze. Die Bundesärztekammer weist in ihrer Stellungnahme zum Verordnungsentwurf jedoch darauf hin, dass die darin vorgesehene Möglichkeit der Kooperation von IVF-Zentren mit humangenetischen Einrichtungen den Kreis der in Frage kommenden Einrichtungen erheblich erweitert. Dies mache deutlich, dass eine Begrenzung der PID, wie sie das Präimplantationsdiagnostikgesetz vorsieht, nicht Ziel der Rechtsverordnung ist. Zum Vergleich: In Frankreich gibt es nur drei Zentren an denen PID durchgeführt wird. 

Daneben soll nach Auffassung der Bundesärztekammer die Anzahl der Ethikkommissionen begrenzt werden. Gemäß dem Verordnungsentwurf obliegt deren Einrichtung den Ländern, wonach es für jedes Land, in dem ein IVF-Zentrum mit PID-Zulassung ansässig ist, mindestens eine Ethikkommission geben würde. In Anbetracht der relativ wenigen zu erwartenden Fälle für eine PID (zum Vergleich: in England sind es 250 bis 300 Fälle im Jahr) und der überwiegend seltenen genetischen Erkrankungen, die Anlass für diese geben, sei zu befürchten, dass bei einer Verteilung dieser Fälle auf viele Kommissionen einige nur über wenige Fälle beraten und kaum Erfahrungen sammeln können. Die konkreten Entscheidungen der Ethikkommissionen im Einzelfall sind der vorherrschenden Auffassung nach entscheidend für eine effektive Einhaltung der durch das Präimplantationsdiagnostikgesetz intendierten Grenzen der Anwendung der PID. Daher wird die durch den Verordnungsentwurf eingeräumte Möglichkeit, einen bereits einmal abgelehnten Antrag auf PID einer anderen Ethikkommission erneut vorzulegen, von vielen kritisch gesehen. Befürchtet wird eine Art „Tourismus” zu Kommissionen, die im Vergleich zu anderen als großzügiger gelten. Der Verordnungsentwurf, so die Kritiker*innen, sieht eine dem entgegenwirkende Vernetzung der Ethikkommissionen nicht vor. Die im Gesetz vorgesehene zentrale Dokumentationsstelle soll nach dem Verordnungsentwurf nur erheben, ob die Zulassung einer konkreten PID wegen einer Erbkrankheit oder des Risikos einer Fehl- oder Totgeburt erfolgte. Die konkreten Erbkrankheiten sollen hingegen nicht gemeldet werden. So wird kaum kontrollierbar sein, aus welchen Gründen eine PID durchgeführt wird. Auch nach der Stellungnahme der Bundesärztekammer muss die Einhaltung bundeseinheitlicher Maßstäbe besser gewährleistet werden. Einheitlichkeit von Kriterien bei der Entscheidung über eine PID seien letztlich geeignet, einen „Ethikkommissionstourismus” im Falle eines negativen Bescheids zu verhindern. Die Bundesärztekammer stellt sich für koordinative Aufgabe dieser Art zur Verfügung.

Daneben bestehen auch Einwände gegen die Zusammensetzung der Ethikkommissionen. Diese sollen zur Hälfte durch Mediziner*innen besetzt werden, zudem ist bei acht Mitgliedern nur ein*e Vertreter*in der Ethik vorgesehen. Ein Urteil der Kommissionen allein auf Grundlage medizinischer Fakten wird nach dem Standpunkt vieler Kritiker*innen als einseitig und nicht ausreichend bewertet. Dieser Einschätzung entspricht auch ein weiterer Kritikpunkt: Nach dem Verordnungsentwurf bezieht sich die Prüfungskompetenz allein auf die Einhaltung der in § 3a Absatz 2 EschG aufgeführten Voraussetzungen. Darüber hinaus, so lautet oftmals die Kritik, sind jedoch von der Ethikkommission auch die psychischen, sozialen und ethischen Folgen in jede Falldiskussion miteinzubeziehen. Diese könnten zwar nicht im Zentrum der Bewertungskompetenz stehen, ein genereller Ausschluss dieser Faktoren sei jedoch nicht möglich, da Begriffe wie „schwerwiegende Erbkrankheit” immer eine subjektive Dimension haben. 

Die Festlegung der Prüfkompetenz der Ethikkommissionen auf die Feststellung der schwerwiegenden Erbkrankheit wird in der kritischen Auseinandersetzung mit dem Verordnungsentwurf vielfach als nicht zielführend empfunden. Die Ethikkommissionen haben dieser Auffassung nach zu wenig Spielraum, Anträge abzulehnen. 

In ihrer Stellungnahme fordert die Bundesärztekammer zwar, dass die im Gesetz vorgesehene Beratung zu medizinischen, psychischen und sozialen Folgen der PID allein dem ärztlichen Fachpersonal vorbehalten sein soll, darüber hinaus hält sie jedoch eine ergebnisoffene, nichtärztliche psychosoziale Beratung für wünschenswert.

Erhebliche Einwände haben kritische Stimmen zudem gegen den in den Erläuterungen des Verordnungsentwurfs vorgesehenen Umgang mit sogenannten Nebenbefunden. Von Nebenbefunden, oder Zufallsbefunden spricht man, wenn diese bei einer Diagnostik zufällig mit erhoben werden, ohne dass gezielt nach ihnen gesucht worden wäre. Bei Anwendung der vergleichenden Genomhybridisierung, einer diagnostischen Methode im Rahmen der PID, können sich solche Nebenbefunde ergeben. Dabei ist es möglich, dass diese eventuell nicht einem zulässigen Indikationsgebiet der PID entsprechen. Dem Rechtsverordnungsentwurf zufolge dürfen diese Nebenbefunde nicht in die Entscheidung über den Verbleib der Embryonen mit einbezogen werden. Nach Auffassung der Kritiker*innen widerspricht dies jedoch dem Behandlungsauftrag des ärztlichen Fachpersonals, wonach dieses alle durch die Diagnostik verfügbaren Ergebnisse der untersuchten Personen übermitteln muss, auch Zufallsbefunde. Da diese Befunde die Entscheidung der hilfesuchenden Person beeinflussen können, müssen sie ihr mitgeteilt werden. Auch dann, wenn sich dadurch Konfliktlagen ergeben, beispielsweise wenn Erkenntnisse über Aneuploiden gewonnen werden, die mit dem Leben vereinbar sein können, wie z. B. beim Vorliegen einer Trisomie 21. Allenfalls könne der austragenden Person ermöglicht werden, vor der Untersuchung zu entscheiden, ob sie über Zufallsbefunde informiert werden möchte oder nicht.

Befürwortende der Rechtsverordnung halten den Entwurf für adäquat und heben hervor, dass darin Überregulierungen vermieden werden. Sie sehen einen Großteil der Kritik durch eine grundsätzliche Ablehnung der PID motiviert und werten diese als einen Versuch, die Einführung der PID auf dem Verwaltungswege zu blockieren. Da bereits im Jahr 2011 das Präimplantationsdiagnostikgesetz mit großer Mehrheit durch den Deutschen Bundestag angenommen wurde, so wird in diesem Sinne argumentiert, sei es kaum noch angemessen im Rahmen der Ausgestaltung der Rechtsverordnung erneut eine Grundsatzdiskussion zu beginnen. Allerdings verdanken sich längst nicht alle kritischen Einwände gegen die Verordnung einer kritischen Haltung zur PID im Allgemeinen, wie etwa die Stellungnahme der Bundesärztekammer zeigt. 

Die Rechtsverordnung bedarf zu ihrer Ermächtigung durch die Bundesregierung der Zustimmung des Bundesrats. Am 1. Februar 2013 stimmte der Bundesrat dem Verordnungsentwurf schließlich zu, allerdings verbunden mit Änderungsauflagen. So verlangt der Bundesrat, dass die Zentren, in denen PID durchgeführt werden darf, durch die Landesbehörden einzeln genehmigt und auf diese Weise zahlenmäßig begrenzt werden. Ein Rechtsanspruch auf Zulassung soll damit nicht bestehen. Diesen Auflagen des Bundesrats wurde in der modifizierten Fassung der Rechtsverordnung Genüge geleistet, die das Bundeskabinett am 19. Februar 2013 beschloss. Der Forderung Bayerns, die Zusammensetzung der Ethikkommissionen den Ländern zu überlassen, wurde indes nicht Folge geleistet. Mit dieser Forderung verbindet sich die Auffassung, dass die zahlenmäßige Dominanz von ärztlichem Fachpersonal in den Ethikkommissionen, wie sie der Verordnungsentwurf vorsieht, kritisch zu bewerten ist. Eine uneinheitliche Besetzung der Kommissionen könnte nach Auffassung des damaligen Bundesgesundheitsministers Daniel Bahr jedoch zu Problemen führen. Die Entscheidungen, ob Einzelfälle zur PID zugelassen werden, sollten medizinische Entscheidungen bleiben und möglichst einheitlich behandelt werden. Sonst würde einem „Tourismus” zu bestimmten Kommissionen, wie durch Kritiker*innen befürchtet, eventuell Vorschub geleistet.

Die Verordnung ist am 1. Februar 2014, ein Jahr nach deren Verabschiedung, in Kraft getreten. Dies sollte den Ländern Zeit zur Bereitstellung der nötigen Strukturen gewähren.

Publikationen der Bundesärztekammer zu den Themen Reproduktionsmedizin, Pränataldiagnostik und Präimplantationsdiagnostik.Online Version

Stellungnahme des Bundesverbands Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands e.V. (BRZ), der Arbeitsgemeinschaft Reproduktionsbiologie des Menschen e.V (AGRBM), der Deutschen Gesellschaft für Andrologie e.V. (DGA), der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin e.V. (DGRM) und des Deutschen IVF-Registers e.V. (DIR): „Präimplantationsdiagnostik: Keine Revision des Gesetzes!” vom 29. Januar 2013.

Präimplantationsdiagnostikverordnung: Verordnung zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik (PIDV) vom 21. Februar 2013 (Bundesgesetzblatt 2013 Teil I Nr. 9, 323). Online Version

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