Medizinische Forschung mit Minderjährigen

I. Einführung

Vor allem seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die medizinische Forschung zur Entwicklung einer Vielzahl von therapeutischen, diagnostischen und präventiven Verfahren geführt. Auch in der Pädiatrie (Kinderheilkunde) hat dieser Fortschritt seinen Niederschlag gefunden. Dennoch fällt die Bilanz der Neuentwicklungen in diesem Bereich, verglichen mit anderen Gebieten der Medizin, deutlich bescheidener aus. Der Kinderarzt Harry Shirkey hat in einem Beitrag aus dem Jahre 1968 den Begriff „therapeutic orphans” (dt. „therapeutische Waisen”) geprägt, um auf den Umstand hinzuweisen, dass Kinder im Vergleich zu Erwachsenen bei der Entwicklung neuer medizinischer Produkte und Verfahren vernachlässigt werden.

Die Problematik der klinischen Prüfung medikamentöser Behandlungen für Minderjährige

Nach wie vor erfolgt die medikamentöse Behandlung von Minderjährigen häufig mit so genannten „off-label” oder „off-licence” Produkten, d. h. mit Präparaten, für die wegen fehlender klinischer Studien entweder gar keine Zulassung für den Einsatz in der Pädiatrie vorliegt oder zumindest für den konkreten Anwendungsbereich eine entsprechende Zulassung fehlt. Kinderärztliche Fachkräfte müssen dann auf der Grundlage von Erfahrungswerten über die Verabreichung eines Medikaments entscheiden. Insbesondere müssen sie auch die Dosisbestimmung vornehmen, ohne dafür auf wissenschaftlich gesicherte Daten zurückgreifen zu können.

Auch wenn der „off-label”- bzw. „off-licence”-Einsatz von Medikamenten in der Pädiatrie verbreitet ist, so handelt es sich dabei aus medizinischer Sicht nur um eine Notlösung. Dies konstatierte auch die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ) und bemerkte in einer Stellungnahme 2012, dass Kinder keine „kleinen Erwachsenen” seien, denn „kleine Kinder sind nicht vergleichbar mit großen Kindern, Neugeborene sind nicht einfach kleine Kinder. Jedes Alter hat seine physiologischen und psychologischen Besonderheiten”. Unter Bezugnahme auf die Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen plädiert die Fachgesellschaft zudem für eine bessere Qualifikation des behandelnden Personals im medizinischen und pflegerischen Fachbereichs und setzt sich für die Repräsentation von Kinderrechten im deutschen Bundestag ein. 

Es ist oftmals nicht möglich, eine „reduzierte Erwachsenendosis” der Medikamente an Kinder und Jugendliche zu verabreichen; dies verdeutlichen die Beispiele des „grey baby syndrome” und die „off-label”-Verschreibung von Antidepressiva an Minderjährige. Die pauschale Rede von Kindern kann in diesem Zusammenhang nicht als angemessen gelten. Vielmehr gilt es, mehrere Entwicklungsphasen bis hin zum Erwachsenenalter zu unterscheiden, die alle durch physiologische Besonderheiten charakterisiert sind. Nur die Durchführung gezielter klinischer Studien an Minderjährigen kann das Problem, dass es sich bei Kindern um „therapeutische Waisen” handelt, wirklich lösen.

Weiterhin besteht das Problem, dass der „off-label”- Einsatz von Medikamenten nur unter bestimmten Bedingungen, die das Bundessozialgericht in zwei Urteilen aus dem Jahr 2002 bzw. 2006 festgelegt hat, zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erfolgen kann. 

Stand und Regulierung der klinischen Prüfung an Minderjährigen

In bestimmten Bereichen der Kinderheilkunde, insbesondere in der Kinderonkologie, werden schon heute klinische Studien in großer Zahl durchgeführt. Schätzungen gehen sogar davon aus, dass beispielsweise in den USA ca. 70 % aller wegen Krebs behandelter Kinder Teil klinischer Studien sind. Dies wirft allerdings die Frage auf, ob dabei nicht wesentliche Unterschiede zwischen medizinischer Forschung und medizinischer Praxis missachtet werden. Auch in Deutschland werden klinische Prüfungen an Kindern durchgeführt, dies allerdings stagnierend in kleinem Maße, laut einer Evaluierung unter VFA-Mitgliedsunternehmen.

Die Kontroverse um eine überzeugende Abwägung zwischen dem Bedarf klinischer Forschung an Minderjährigen einerseits und ihrem hohen Schutzbedürfnis andererseits spiegelt sich auch in den verschiedenen Ansätzen zur Regulierung der medizinischen Forschung an Minderjährigen auf internationaler und nationaler Ebene wider. Beispielsweise besteht in Deutschland derzeit keine umfassende spezialgesetzliche Regelung der Forschung am Menschen. Speziell geregelt sind vor allem die klinische Prüfung von Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz - AMG) sowie von Medizinprodukten (Medizinproduktegesetz - MPG).

Allgemein zum Schutz des Menschen bei klinischen Prüfungen von Arzneimitteln ist in §§ 40-42a des AMG festgeschrieben, dass vor Beginn einer klinischen Studie eine Risiko-Nutzen-Abwägung durchgeführt werden muss und dass Proband*innen nach entsprechender Aufklärung ihre informierte Einwilligung in die Teilnahme geben müssen. Zudem ist ein positives Votum einer unabhängigen Ethik-Kommission erforderlich. Speziell mit der Forschung an Minderjährigen befasst sind die §§ 40 IV und 41 II.

Grundsätzlich gilt, dass die klinische Prüfung an Minderjährigen im Vergleich zu der an Erwachsenen zusätzlichen Restriktionen unterliegt: Klinische Prüfungen mit Minderjährigen sind nur dann erlaubt, wenn Erwachsene aus methodischen Gründen als Proband*innen nicht in Betracht kommen, der Gegenstand der Prüfung therapeutischen, diagnostischen oder präventiven Nutzen für Minderjährige in Aussicht stellt und zudem die Anwendung bei den beteiligten kindlichen Proband*innen selbst medizinisch indiziert ist. Die Einwilligung bei minderjährigen Proband*innen erfolgt als stellvertretende Einwilligung zunächst durch die gesetzliche Vertretung der Minderjährigen; sie muss jedoch dem mutmaßlichen Willen der*des Minderjährigen entsprechen. Aber auch die*der Minderjährige selbst muss vor Beginn einer klinischen Prüfung von einer im Umgang mit Minderjährigen erfahrenen Prüfperson in einer dem Alter bzw. der geistigen Reife entsprechenden Weise aufgeklärt werden. Eine Ablehnung der Teilnahme durch die*den Minderjährigen ist zu beachten. Sind die minderjährigen Proband*innen selbst in der Lage, Wesen, Bedeutung und Tragweite der in Frage stehenden klinischen Prüfung zu begreifen (und ihren Willen danach auszurichten), so ist auch ihre Einwilligung erforderlich.

II. Ethische Aspekte

Die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit von biomedizinischer Forschung mit Minderjährigen stellt ein außerordentlich schwieriges Problem innerhalb der Forschungsethik dar und wird entsprechend seit langem intensiv diskutiert. Die besondere Schwierigkeit des Problems liegt darin begründet, dass zwei widerstreitende moralische Intuitionen aufeinander stoßen: Einerseits müssen Minderjährige als besonders schutzbedürftig gelten, was ein generelles Verbot oder zumindest eine weitgehende Beschränkung von biomedizinischen Humanexperimenten im Bereich der Pädiatrie plausibel erscheinen lässt. Andererseits impliziert eine weitgehende Beschränkung pädiatrischer Forschung einen deutlich langsameren Fortschritt der Medizin in diesem Bereich, wenn nicht gar einen Stillstand und setzen dem ethischen Gebot, angewendete therapeutische Verfahren durch klinische Studien auf Nutzen und Risiken zu überprüfen, Grenzen.

Die informierte Einwilligung stellt eines der zentralen Prinzipien der Ethik der Forschung am Menschen dar. Humanexperimente können demnach grundsätzlich nur dann als ethisch vertretbar gelten, wenn die betroffenen Proband*innen vor der Durchführung über Wesen, Bedeutung und Tragweite eines Versuchs aufgeklärt worden sind und daraufhin ihre informierte Einwilligung in die Teilnahme erteilt haben. Dieser Gedanke findet sich in allen einschlägigen forschungsethischen Kodizes sowie in den entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen. Im Unterschied zu Erwachsenen sind Minderjährige oftmals aufgrund mangelnder kognitiver Fähigkeiten nicht in der Lage selbst eine informierte Einwilligung zu erteilen. Daher, so eine mögliche Position, ist Forschung an Minderjährigen zumindest dann ethisch unvertretbar, wenn mit ihr kein direkter medizinischer Nutzen für die minderjährigen Proband*innen verbunden ist; lediglich therapeutische Forschung wäre demnach statthaft. Eine entsprechende Position hat beispielsweise der amerikanische Bioethiker Paul Ramsey in seinem Buch „The Patient as Person” aus dem Jahre 1970 vertreten.

Der Umstand, dass medizinische Forschung an Minderjährigen erforderlich ist, um neue und effektive Verfahren für die Pädiatrie zu entwickeln, darf als allgemein anerkannt gelten. Da es sich dabei keineswegs um ein wertneutrales Handlungsziel handelt, sondern im Gegenteil die Bereitstellung effektiver Behandlungsmöglichkeiten moralisch höchst wünschenswert ist, haben viele Ethiker*innen nach Argumenten gegen die Position der grundsätzlichen Unzulässigkeit, wie sie etwa von Ramsey vertreten wird, gesucht. Unstreitig ist dabei, dass die Einwilligung von gesetzlichen Vertreter*innen sowie die Alternativlosigkeit notwendige Bedingungen darstellen. Darüber hinaus lassen sich grob vier Ansätze unterscheiden, die mögliche Rechtfertigungen für die medizinische Forschung an Minderjährigen und Möglichkeiten ihrer Einwilligung ausloten. 

Die unterstellte Einwilligung

Ein erster Ansatz geht davon aus, dass man angesichts des moralischen Wertes der Teilnahme an einem Humanexperiment die Einwilligung der*des Minderjährigen unterstellen dürfe. Richard McCormick hat diese Position als direkte Antwort auf Ramseys These von der grundsätzlichen Unvertretbarkeit entwickelt. Man müsse, so McCormicks zentrales Argument, keineswegs davon ausgehen, dass die minderjährige Testperson die Teilnahme an einem medizinischen Versuch ablehne. Im Gegenteil könne man annehmen, dass sie*er, verfügte sie*er über die erforderlichen Fähigkeiten, ihre*seine Einwilligung erteilen würde, weil es moralisch richtig wäre so zu entscheiden. Aus diesem Grund sei, so die Schlussfolgerung, Ramseys These von der ethischen Unvertretbarkeit fremdnütziger Forschung an Minderjährigen falsch. Eine naheliegende Kritik an diesem Ansatz lautet, dass eine vergleichbare Annahme bei einwilligungsfähigen Erwachsenen nicht gemacht werde und folglich nicht einzusehen sei, warum sie bei Minderjährigen zulässig sein sollte.

Der erzieherische Nutzen als Rechtfertigungsgrund

Den Anknüpfungspunkt für einen zweiten Ansatz bildet der Umstand, dass Forschung mit Minderjährigen dann als ethisch vertretbar angesehen wird, wenn mit der Forschung ein unmittelbarer Nutzen für die minderjährigen Proband*innen verbunden ist. Während dabei zumeist von einem unmittelbaren medizinischen Nutzen ausgegangen wird, machen Vertreter*innen dieses Ansatzes geltend, dass auch andere Arten von Nutzen hierbei berücksichtigt werden können und müssen. So hat die Teilnahme an einem Humanexperiment auch einen erzieherischen Nutzen für minderjährige Proband*innen, insofern dadurch so grundlegende soziale Fähigkeiten wie Altruismus und Solidarität gefördert werden. Deshalb könnten auch Experimente ohne direkten medizinischen Nutzen als ethisch vertretbar gelten. Dies erscheint plausibel, wenn man bedenkt, dass Kinder in vielen Fällen den familiär als wichtig betrachteten oder akzeptierten Normen ungefragt unterworfen werden, da Sozialisation und Erziehung von Kindern anders kaum möglich ist. Streitig ist hierbei einerseits, ob ein erzieherischer Nutzen wirklich die behauptete legitimatorische Kraft entfalten kann, andererseits machen Kritiker*innen geltend, dass ein Verständnis für altruistisches Handeln erst ab einem bestimmten Reifegrad angenommen werden kann und Forschung mit kleineren Kindern somit durch diesen Ansatz nicht zu rechtfertigen ist.

Das Konzept des minimalen Risikos

Ein dritter Ansatz, der vor allem in der US-amerikanischen Debatte große Bedeutung hat, setzt beim Risikoprofil von Humanexperimenten an. Sind, so die Überlegung, mit einem Humanexperiment nur minimale Risiken und Belastungen, die zum Teil nur vor dem Hintergrund eines eng gefassten Eingriffsbegriffs als Eingriff verstanden werden können, verbunden, dann kann von dem Erfordernis einer persönlichen Einwilligung abgesehen werden und die Einwilligung der gesetzlichen Vertretung reicht zur ethischen Rechtfertigung aus. Zunächst wirft dieser Ansatz die Frage auf, ob nicht die Verwendung von Menschen im Rahmen medizinischer Versuche ohne deren Einwilligung aus ethischer Perspektive grundsätzlich problematisch ist, unabhängig von etwaigen Risiken und Belastungen. Ist dies der Fall, dann vermag der Verweis auf nur minimale Risiken und Belastungen keine ethische Rechtfertigung zu erbringen. Ferner sieht sich dieser Ansatz mit Problemen konfrontiert, die der Risikobegriff aufwirft. Insbesondere halten es viele Diskussionsteilnehmende für zweifelhaft, dass hinreichend klar zu fassen ist, was ein nur minimales Risiko darstellt bzw. ob eine objektive Festlegung geeignet ist, die Wertungen individueller Proband*innen angemessen zu berücksichtigen. Selbst bei der Bewertung gruppennütziger Forschungsvorhaben mit mehr als minimalem Risiko ging die Meinung deutscher Ethikkommissionen laut einer Studie auseinander. Empirische Untersuchungen belegen, dass Vorgaben wie „minimales Risiko” oder „minimale Belastung” unterschiedlich interpretiert werden. Aus diesem Grund werden diese zunächst abstrakten Grenzziehungen zunehmend anhand klinischer Beispiele konkretisiert und mit Empfehlungen verbunden.

Die Eltern als (vorläufige) Interessenvertreter des Kindes

Der Medizinethiker Giovanni Maio stellt demgegenüber die Frage, ob fremdnützige Forschung tatsächlich eine ethisch nicht gerechtfertigte Verzweckung der minderjährigen Versuchsperson darstelle. Es bestehe eine Spannung zwischen dem Verbot der Instrumentalisierung der Versuchsperson und dem Gebot, mögliche Hilfeleistungen für zukünftige Kinder zu ermitteln. Nach Maio sei die Einbeziehung minderjähriger Proband*innen in fremdnützige Studien nur dann grundsätzlich illegitim, wenn dabei die Würde des Kindes verletzt wird. Über die Zumutbarkeit im Sinne des Kindeswohls sollten daher die Eltern als Interessenvertretung des Kindes entscheiden.

Darüber hinaus sollte jedoch auch die*der minderjährige Proband*in selbst in Abhängigkeit von seiner*ihrer geistigen Reife in den Entscheidungsprozess einbezogen werden. In der Praxis ist oft schwer zu bestimmen, wann ein Kind zu einer solchen Einwilligung wirklich in der Lage ist. Zumindest eine Ablehnung der Studienteilnahme sollte jedoch schon vor dem Zeitpunkt der vollen Entscheidungsfähigkeit respektiert werden.

Die Abgrenzung zwischen medizinischer Praxis und medizinischer Forschung

Die Abgrenzung zwischen medizinischer Praxis (Diagnose, Therapie, Prävention) und medizinischer Forschung erweist sich seit langem als schwieriges Problem. Während medizinische Praxis am Wohl der zu behandelnden Person orientiert ist, besteht das Ziel medizinischer Forschung primär darin, wissenschaftliche Erkenntnisse zu erlangen. In vielen Fällen werden jedoch beide Handlungsziele zugleich verfolgt. Für diesen speziellen Handlungstyp werden eine Vielzahl von Bezeichnungen verwendet, etwa „therapeutisches Experiment” oder Experimente mit einem direkten medizinischen Nutzen für die Proband*innen (eigennützige Forschung). Rein wissenschaftliche Versuche werden entsprechend als „fremdnützig” bezeichnet. Davon unterschieden werden bisweilen noch so genannte „gruppennützige” Experimente; das sind solche, die zwar für den*die Proband*in selbst keinen medizinischen Nutzen bringen, aber für die Gruppe, der diese angehört. Die Gruppenzugehörigkeit kann hierbei entweder durch eine Krankheit (z. B. Alzheimerpatient*innen) oder Alter (Minderjährige) konstituiert werden.

Kritische Stimmen machen geltend, dass Begriffe wie „therapeutische Experimente” dazu führen, dass strukturell unterschiedliche Handlungsarten – nämlich die ärztliche Behandlung einerseits und die wissenschaftliche Forschung andererseits – vermengt werden. Sie plädieren daher für eine Abschaffung all jener Begriffe, die einen dritten, eigenständigen Handlungstypus zwischen medizinischer Praxis und Forschung suggerieren. Von besonderer Bedeutung in der ethischen Debatte zur medizinischen Forschung an Minderjährigen ist die sogenannten gruppennützige Forschung.

Die Kontroverse um die Zulässigkeit gruppennütziger Forschung

Als Beispiel für die Debatte zur ethischen Zulässigkeit gruppennütziger Forschung an Minderjährigen wird im Folgenden auf die Kontroverse um das Vierte Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher anderer Vorschriften vom 20. Dezember 2016 eingegangen. Im Anschluss an die Gesetzesänderung ist seit 2016 unter bestimmten Voraussetzungen auch die gruppennützige Forschung mit einwilligungsunfähigen Erwachsenen zulässig. Kritisiert wurde hieran, dass Minderjährige als eine Teilgruppe der Einwilligungsunfähigen weiterhin nicht mit den anderen Teilgruppen gleichgestellt sind. So ist gruppennützige Forschung mit einwilligungsunfähigen Erwachsenen unter anderem nur dann zulässig, wenn ein direkter eigener Nutzen für die Teilnehmenden vorliegt. Bei Minderjährigen ist dies nicht zwingend erforderlich. Den Hintergrund dieser Bestimmung bildet wohl das Bestreben, den off-label-Gebrauch von Arzneimitteln bei Minderjährigen zu reduzieren. Auch stellt die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit von Minderjährigen vorwiegend auf Altersgrenzen ab, wohingegen bei Erwachsenen stärker einzelfallbasiert Ausmaß und Vorliegen einer Einwilligungsunfähigkeit bestimmt wird.

Ein zentrales Argument gegen die Legitimität gruppennütziger Forschung an Minderjährigen lautet, dass nicht einsichtig sei, warum eine kontingente Beziehung, wie etwa das gleiche Alter zwischen den Proband*innen einerseits und den tatsächlichen Nutznießenden der Forschung andererseits, ethisch legitimierende Kraft entfalten soll. Insbesondere könne man nicht ohne Weiteres von einem starken gruppenbezogenen Solidaritätsgefühl zwischen den Proband*innen und den derselben Gruppe zugehörigen Nutznießenden der Forschung ausgehen. Der 12. Novelle des Arzneimittelgesetzes im Jahre 2004, die die gruppennützige Forschung nach § 41 II Nr. 2 legalisiert, wird entgegengehalten, sie widerspreche dem Würdeschutz, der in Art. 1 I des Grundgesetzes formuliert ist. Auf diese Weise würden nämlich, so die Argumentation, Minderjährige, die nicht selbst in die Teilnahme an einem Experiment einwilligen können und selbst keinen direkten Nutzen aus der Teilnahme ziehen, als bloße Mittel für Zwecke anderer missbraucht. Befürwortende der gruppennützigen Forschung verweisen auf die verfassungsrechtlich geschützte Menschenwürde, die jedoch nicht individualistisch und eigennützig ausgerichtet sei. Vielmehr betone das Bundesverfassungsgericht die Gemeinschaftsbezogenheit der Person. Daraus könne auch die solidarische Hilfe innerhalb einer Schicksalsgemeinschaft gemeint sein, etwa eine Gruppe von Kindern mit einer seltenen Erkrankung. Ein ausreichend hohes Schutzniveau für die Versuchspersonen müsse dabei gegeben sein.

Sonderfälle in der Forschung mit Minderjährigen

Zwar gelten für alle Bereiche der Pädiatrie identische gesetzliche Vorgaben und ethische Anforderungen, zwei Schwerpunkte der Kinderheilkunde sind jedoch hervorzuheben.

Die pädiatrische Onkologie hebt sich bezüglich der Etablierung von Studien deutlich von anderen Fachgebieten ab. Die Durchführung von multizentrischen Studien und die daraus abgeleiteten Behandlungsmöglichkeiten ließen die Heilungsrate von an Krebs erkrankten Minderjährigen international von rund 15 % Anfang der 1970er Jahre auf mittlerweile rund 70 % steigen. Allerdings stehen medizinisches Personal sowie Ethiker*innen auch hier vor der schwierigen Aufgabe der Aufklärung der Kinder und Eltern sowie der Abwägung zwischen Schutz der Proband*innen und Erkenntnisgewinn/Nutzen für die Behandelten. Die hohe Zahl der Studien wirft zudem die Frage auf, ob dabei nicht wesentliche Unterschiede zwischen medizinischer Forschung und medizinischer Praxis missachtet werden.

In der Neonatologie kommen nach Meinung von Fachgrößen viele Medikamente zum Einsatz, die zuvor nicht an Behandlungsgruppen getestet wurden. Die mitunter gravierenden Folgen für die Gesundheit der Neugeborenen führen Fachleute zu der Frage, ob nicht sämtliche Behandlungen in der Neonatologie im Rahmen klinischer Studien durchgeführt werden sollten. Allerdings würde dann auch hier die Unterscheidung von Forschung und medizinischer Praxis zur Disposition gestellt.

Zitiervorschlag

Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (2024): Im Blickpunkt: Medizinische Forschung mit Minderjährigen. URL https://www.drze.de/de/forschung-publikationen/im-blickpunkt/medizinische-forschung-mit-minderjaehrigen [Zugriffsdatum]

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