Tierversuche in der Forschung

Einige Passagen dieses Blickpunktes sind dem DRZE-Sachstandsbericht Tiere in der Forschung entnommen.

I. Einführung

Versuchstierzahlen: Deutschland und Europa

Tierversuche werden u. a. zur Erforschung von physiologischen Prozessen, zur Entwicklung von Produkten und Therapieverfahren und zur Überprüfung der Produktsicherheit durchgeführt. Die aktuelle Statistik zu Versuchstierzahlen in Deutschland wurde vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) im Jahr 2023 veröffentlicht und ist auf das Jahr 2022 bezogen.

Von den 2022 insgesamt in Deutschland für wissenschaftliche Zwecke verwendeten 2.437.794 Wirbeltieren und Kopffüßern wurden rund 1,73 Millionen in Tierversuchen eingesetzt, knapp 712.000 Tiere wurden ohne vorherige Eingriffe für wissenschaftliche Zwecke getötet. Mit einem Anteil von rund 55 % an der Gesamtzahl der Versuchstiere wurden 2022 die meisten Tiere in der biologischen Grundlagenforschung verwendet. Während seit 1991 keine Menschenaffen mehr für Versuchszwecke eingesetzt werden, zieht man mit Abstand am häufigsten Nagetiere und Fische für wissenschaftliche Zwecke heran; 2022 stellten sie gut 98 % der insgesamt verwendeten Tiere. Der besonders hohe Anteil an Mäusen (etwa 87 %) ist u. a. auf die Haltungsbedingungen, eine kurze Generationenfolge und den vermehrten Einsatz transgener Mäuse zurückzuführen. Ein weiterer Grund ist die Genomentschlüsselung, da bisher nicht nur das Genom des Menschen, sondern auch das von Mäusen vollständig entschlüsselt ist. Mäuse und Ratten stellen zusammen sowohl in Deutschland als auch in der EU die größte Versuchstiergruppe dar.

Nach der 2019 veröffentlichten Statistik der Europäischen Kommission wurden in den Mitgliedstaaten der EU im Jahr 2017 etwa 9,4 Millionen Tiere erstmals für wissenschaftliche Versuche verwendet. Verglichen mit den Angaben für das Jahr 2016, in dem eine Verwendung von etwa 9,8 Millionen Tieren verzeichnet wurde, ergibt sich damit ein Rückgang um etwa 4,5 %. Hunde, Katzen und nicht-menschliche Primaten machten 2017 bei den EU-Mitgliedsstaaten weniger als 0,3 % der erstmals verwendeten Versuchstiere aus. Seit Inkrafttreten der EU Tierschutzrichtlinie 2010/63/EU im Jahre 2010 ist die Durchführung von Versuchen an Menschenaffen (Gorillas, Orang-Utans, Schimpansen und Bonobos) in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union verboten, wobei in  Art 55 Abs. 2 RL 2010/63/EU die Möglichkeit eingeräumt wurde, den Einsatz von Menschenaffen zu Versuchszwecken unter strengen Voraussetzungen auch wieder zu genehmigen. In 

Mit dieser im Jahr 2010 in Kraft getretenen Richtlinie und dem Durchführungsbeschluss 2012/707/EU wurde außerdem das Meldewesen für Tierversuche innerhalb der EU vereinheitlicht. Hierdurch erhielt die 2019 veröffentlichte Statistik der Europäischen Kommission zur Erhebung von Versuchstierdaten eine neue Ausrichtung bezüglich der Übermittlung und Veröffentlichung. Die EU-Mitgliedsstaaten haben bereits 2015 die Übermittlung von Versuchstierzahlen an die neuen Vorgaben angepasst, sodass ihre Erhebungen seither u. a. weitere Tierarten und Lebensformen (z. B. Kopffüßer und Föten) sowie den Schweregrad der Verfahren dokumentieren. Zudem wurde der Anwendungsbereich der bisherigen Richtlinie auf die Verwendung von Tieren in der Grundlagenforschung sowie der Routineproduktion erweitert; letzteres bedeutet, dass Tiere im Rahmen von Chemikalientests oder Arzneizulassungen grundsätzlich getötet werden dürfen.

Übertragbarkeit der Ergebnisse aus Tierversuchen

In größerem Umfang werden Tierversuche erst seit der Neuzeit durchgeführt. Seither gibt es eine breite Debatte über deren Zulässigkeit. Seit Beginn dieser Debatte führen Personen, die den Einsatz von Tierversuchen kritisieren, an, die am Tier gewonnenen Erkenntnisse seien nicht auf den Menschen übertragbar und deshalb überwiegend nutzlos. Dieser Vorwurf zielt sowohl auf die in der Grundlagenforschung (z. B. am "Maus-Modell") gewonnenen Erkenntnisse, als auch auf die Ergebnisse von Medikamentenprüfungen an Tieren ab. Zur Debatte stand und steht, ob unterschiedliche Spezies (wie Mensch und Maus) wegen der strukturellen und funktionellen Gleichartigkeit vieler Organe auf gleiche Stoffe gleich reagieren, oder ob die Wirkweise von Stoffen im Organismus in stärkerem Maße speziesspezifisch ist. Wäre Letzteres der Fall, böten beispielsweise Stoffprüfungen am Tier nur eine vermeintliche Sicherheit. In der Geschichte finden sich Belege für beide Auffassungen: Verschiedentlich wurden Forschende durch die Ergebnisse von Tierversuchen zu falschen Forschungshypothesen verleitet (z. B. bei der Forschung an Poliomyelitis (Kinderlähmung)) oder haben sich bei der Prüfung der Produktsicherheit in falscher Sicherheit gewiegt (wie im Fall von Contergan). In anderen Fällen erwiesen sich die im Tierversuch beobachteten Wirkeffekte als auf den Menschen übertragbar. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die zentrale Selbstverwaltungseinrichtung der Wissenschaft in Deutschland, geht davon aus, dass durch einen Tierversuch "erwünschte und etwa 70% der unerwünschten Wirkungen, die den Menschen betreffen" vorhersagbar sind (DFG (2004): Tierversuche in der Forschung. Bonn: Lemmens Verlags- und Mediengesellschaft, 2004: 18).

Alternativmethoden

In verschiedenen Bereichen können Tierversuche durch alternative Methoden ersetzt werden. So werden viele Experimente gegenwärtig an Zellkulturen durchgeführt. In Abgrenzung zu Versuchen an lebenden Organismen (In-vivo-Methoden) werden diese als In-vitro-Methoden ("im Reagenzglas") bezeichnet. Künstlich erzeugte Zellen verschiedener Gewebearten, s.g. Organoide, spielen hierbei eine zunehmende Rolle. Auch Computersimulationen können zum Ersatz von Tierversuchen dienen, da sie helfen, die Wirkweise von Stoffen im Körper vorherzusagen. In welchem Maße Alternativmethoden Tierversuche in naher Zukunft ersetzen können, ist umstritten. Zumindest für den Bereich der Kosmetikforschung ist ein vollständiger Ersatz der Sicherheitsprüfungen am Tier durch alternative Testverfahren vorgesehen. Forschende weisen aber darauf hin, dass auch zukünftig Tierversuche, vor allem in Medikamentenprüfungen, nicht vollständig zu ersetzen seien: Die Komplexität eines intakten Organismus sei notwendig, um alle Wirkungen eines Stoffes zu überprüfen. So ist im Bereich der neurobiologischen Grundlagenforschung sowie der Infektionsforschung laut einiger in der Wissenschaft tätigen Personen die Forschung an nicht menschlichen Primaten bislang noch nicht ersetzbar.

Forschungspraktiken

Versuchspraktiken können verschiedene Gestalt mit jeweils unterschiedlich intensiver Belastung für die genutzten Tiere annehmen. EU-weit wird dabei zwischen einem geringen, mittleren und schweren Belastungsgrad. der Tiere differenziert. Eine vierte Kategorie umfasst solche Versuche, bei denen ‚keine Wiederherstellung der Lebensfunktion‘ erfolgt, was bedeutet, dass die Tiere nach Beendigung des Versuchs schmerzlos eingeschläfert werden. Die Einteilung in Belastungsgrade ist aus unterschiedlichen Gründen unklar. Einerseits ist unter Fachpersonen umstritten, welche Eingriffe an Tieren für diese in welchem Grad belastend sind. Die zugrundeliegende EU-Richtlinie stellt für die Einordnung nur vage Kriterien bereit und eine Beurteilung erfolgt in erster Linie auf Grundlage von Beispielen. Als schwache Belastung, verbunden mit „kurzzeitig geringen Schmerzen, Leiden oder Ängsten“, ohne langanhaltende negative Auswirkungen  gelten zum Beispiel das Testen nicht-invasiver bildgebender Verfahren bei Tieren unter Narkose, das Verabreichen von Substanzen mit erwartbar geringen Auswirkungen  oder die Züchtung von Tieren mit genetischen Veränderungen, die als nicht einschränkend gelten. Als Versuche mit mittlerer Belastung gelten solche Verfahren, „bei denen zu erwarten ist, dass sie bei den Tieren kurzzeitig mittelstarke Schmerzen, mittelschwere Leiden oder Ängste oder lang anhaltende geringe Schmerzen verursachen sowie Verfahren, bei denen zu erwarten ist, dass sie eine mittelschwere Beeinträchtigung des Wohlergehens oder des Allgemeinzustands der Tiere verursachen.“ (EU Richtlinie 2010/63/EU). Als Beispiele können hierfür chirurgische Eingriffe mit anhaltenden postoperativen Schmerzen oder etwa Nahrungsentzug für 48 Stunden bei erwachsenen Ratten genannt werden. Schwere Belastungen bezeichnen Schmerzen, Leiden und Ängste von großer Intensität oder Dauer. Versuche die hierunter fallen sind zum Beispiel Toxizitätstests mit zu erwartenden Todesfällen, Organtransplantationen mit potenziellen Abstoßungen oder die vollständige Isolierung von geselligen Arten über längere Zeiträume. Andererseits unterscheidet sich was als belastend gelten kann auch sehr nach Tierart, Alter der Tiere und vorheriger gesundheitlicher Verfassung. So ist es für Tiere, die gewöhnlich in komplexe soziale Strukturen eingebettet sind, wahrscheinlicher belastender in Isolation gehalten zu werden, als für solche, die auch in ihrem natürlichen Umfeld solitär leben. Prinzipiell gilt, dass darüber, was für welche Tierart in welchem Grad als belastend gelten kann, gemutmaßt werden muss. Zum einen haben Menschen keinen unmittelbaren Zugang zur Perspektive anderer Arten und können sich diese nur qua wissenschaftlich plausibler Thesen erschließen. Zum anderen wird Leid vielen Ansätzen zufolge sehr subjektiv erlebt und kann dementsprechend nicht ohne weiteres quantifiziert werden.

II. Ethische Aspekte

Die moralische Zulässigkeit von Tierversuchen kann entlang mehrerer Linien untersucht werden. Zunächst stellt sich die Frage danach, welche Rolle Tieren generell in moralischen Überlegungen zukommt und welche Forderungen sich jeweils daraus ableiten lassen. Eine zentrale Problematik, die hierbei je nach Theorieansatz eine Rolle spielt, ist die Frage, wie konfligierende Interessen zwischen Menschen und anderen Tieren vermittelt werden können beziehungsweise, welche menschlichen Interessen stark genug sind um nicht-menschlichen Interessen zu überschreiben. Ein drittes Problemfeld bezieht sich auf die Legitimität unterschiedlicher Praktiken im Versuchskontext im Zusammenhang mit den speziellen Bedürfnissen unterschiedlicher Tierarten. Im Folgenden sollen zunächst unterschiedliche, den moralischen Status von Tieren betreffende Ansätze angeführt und auf ihre jeweiligen Konsequenzen für Tierversuche hingewiesen werden. Das Problem der Interessenkonflikte soll anschließend in einem eigenen Kapitel adressiert werden.

Der moralische Status von Tieren und Menschen

Die Antwort auf die Frage, ob Tierversuche ethisch vertretbar sind, ergibt sich nicht schon daraus, dass sie für viele Menschen (beispielsweise für Verbraucher*innen oder Patient*innen) nützlich, vielleicht sogar lebensrettend, sind. Vielmehr muss gefragt werden, ob und inwiefern der menschliche Nutzen tierisches Leiden und Sterben rechtfertigt. Der moralische Status von Tieren spielt hierbei eine entscheidende Rolle.

Das Konzept des moralischen Status zielt darauf ab, den Kreis derjenigen Lebewesen zu bestimmen, die beim Treffen von Entscheidung moralisch zu berücksichtigen sind, das heißt, deren Interessen um ihrer selbst willen in die eigenen (menschlichen) Überlegungen miteinzubeziehen. Das Berücksichtigen derartiger Interessen kann Entscheidungen grundsätzlich eine ethische Dimension verleihen. In der Debatte um den moralischen Status von nicht-menschlichen Tieren werden unterschiedliche Eigenschaften angeführt, die es erforderlich machen, diese moralisch zu berücksichtigen. Abhängig davon, welche Theorie hier vertreten wird, ergeben sich unterschiedliche Beurteilungen für die Zulässigkeit von Tierversuchen. Diese hängen nicht nur davon ab, ob Tieren überhaupt ein moralischer Status zugesprochen wird, sondern auch davon, ob ein solcher unterschiedliche Abstufungen zulässt und wie verschiedene Lebewesen entlang einer solchen Skala zu verorten sind. Dabei können Statusunterschiede sowohl innerhalb der menschlichen Spezies vermutet werden (zum Beispiel zwischen einem Embryo in einem frühen Entwicklungsstadium und einem erwachsenen Menschen) als auch - wie für den vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung - mit Blick auf verschiedene Spezies. So wird beispielsweise in § 8 des fünften Abschnitts des deutschen Tierschutzgesetzes  ein speziesabhängiger Unterschied zwischen Versuchen mit Wirbeltieren oder Kopffüßern einerseits (solche Versuche unterliegen einer Genehmigungspflicht) und Krebstieren andererseits (Versuche an diesen sind lediglich anzeigepflichtig) gemacht.  

Im Folgenden wird prinzipiell zwischen solchen Ansätzen in der Tierethik unterschieden, die Tieren einen eigenen moralischen Status einräumen und solchen die dies nicht tun. Skalierte Ansätze, denen zufolge Tieren ein „geringerer“ moralischer Status als Menschen zukommt, werden im Rahmen des Umgangs mit Interessenkonflikten im nachfolgenden Kapitel behandelt.

1. Anthropozentrische Ansätze

Die Kernthese des moralischen Anthropozentrismus ist, dass Menschen in moralischer Hinsicht ein Sonderstatus zukommt bzw., dass Menschen die einzigen Lebewesen mit einem sittlich verpflichtenden Eigenwert seien. Diese Sichtweise hat verschiedene historische Wurzeln und bedient sich unterschiedlicher Begründungsmuster. Diese stützen sich häufig darauf, dass Menschen besondere Eigenschaften aufweisen, die bei anderen Tieren nicht oder nicht vollständig ausgeprägt sind und die für eine ethische Berücksichtigung von zentraler Bedeutung sind. Andere Ansätze beziehen sich zum Beispiel auf die Funktionsweise der Ethik als ein auf Reziprozität basierendes System. Die Argumentation lautet hier, dass keine moralischen Forderungen an Tiere gestellt werden können und ihnen deshalb auch kein moralischer Schutz zukommen sollte. Sie sind vom ethischen System prinzipiell ausgeschlossen. Beide Begründungsformen hängen oft eng miteinander zusammen. So können die Defizite nicht-menschlicher Tiere auch angeführt werden, um sie als moralisch inkompetent zu klassifizieren.

Wenn der Mensch als einziges Lebewesen "in moralischer Hinsicht zählt", dann ist er Tieren gegenüber nicht zur Rücksichtnahme verpflichtet: Ihre Nutzung oder Schädigung verletzt keine ethischen Gebote. Jedoch auch im Rahmen einer solchen radikal anthropozentrischen Sichtweise können Pflichten in Bezug auf Tiere begründet werden. Diese Pflichten bestehen dann allerdings nicht gegenüber den Tieren selbst (denn diese haben keinen moralischen Eigenwert), sondern es handelt sich um indirekte oder abgeleitete Pflichten, also um Pflichten, die Menschen zwar in Bezug auf Tiere haben, die ihren Grund aber in Pflichten des Menschen gegen sich selbst oder gegen seine Mitmenschen haben.

Eine Begründung des Verbots der Tierquälerei ohne Rückgriff auf einen eigenen moralischen Status der Tiere lieferte etwa Immanuel Kant im Rahmen seiner Ethik. Kants Argumentation findet sich in einem Kapitel der "Metaphysik der Sitten" (§§ 16-18). Das Verbot der Tierquälerei begründet Kant nicht damit, dass diejenige Person, die Tiere quält, diesen Unrecht zufügt, sondern damit, dass Tierquälerei die Fähigkeit der Person zum moralischen Handeln schwäche. So verletze sie eine Pflicht, die sie gegen sich selbst habe. Tierquälerei beeinträchtige zudem die Fähigkeit zur Empathie mit fremdem (auch menschlichem) Leiden. Da diese Fähigkeit aber für das Zusammenleben von Menschen in einer Gemeinschaft "sehr dienlich" sei, verletze diejenige Person, die sie mutwillig aufs Spiel setzt, eine Pflicht gegenüber ihren Mitmenschen. Derartige Argumente gegen Tierquälerei werden als Verrohungsargumente oder auch als pädagogische Argumente bezeichnet.

Für Tierversuche könnte daraus abgeleitet werden, dass diese nur gerechtfertigt sind, wenn sie nicht mit unnützen Schädigungen einhergehen und auf ein klares Ziel ausgerichtet sind. Daraus ließe sich zum Beispiel ein Argument gegen die Grundlagenforschung formulieren, vor allem, wenn diese mit großem Leid der Tiere einhergeht. Prinzipiell kann menschliches Interesse vor diesem Theoriehintergrund jedoch auch ein hohes Maß an tierischem Schaden im Versuchskontext rechtfertigen und sogar als moralisch begrüßenswert darstellen, v.a. wenn dahinter moralisch lobenswerte Absichten stehen, wie zum Beispiel anderen durch die Entwicklung neuer Medikamente zu helfen. So wird etwa auf europäischer Ebene in verschiedenen Richtlinien und Verordnungen vorgeschrieben, dass Tierversuche im Rahmen von Stoff- und Verfahrensprüfungen stattzufinden haben, bevor diese mit menschlichen Proband*innen oder Konsument*innen in Berührung kommen. Die Sicherheit von Menschen soll damit unter Verwendung von Versuchstieren sichergestellt werden.  

Die Auffassung, die rohe und grausame Behandlung von Tieren sei nicht per se falsch, sondern nur mittelbar über die Folgen für die eigene moralische Persönlichkeit und das Zusammenleben der Menschen, ist früh kritisiert worden, zum Beispiel von Arthur Schopenhauer. Gegen die grundlegenden Argumentationsstrategien des Anthropozentrismus ist u.a. eingewendet worden, dass dieser sich auf essentialistische Annahmen über die „menschliche Natur“ stützt, die sich naturwissenschaftlich nicht halten lassen und konsequenterweise auch zum Ausschluss einiger Menschen aus der moralischen Gemeinschaft führen müssten. Vor diesem Hintergrund ist auch ein Reziprozitätsargument nur schwierig zu verteidigen, da zentral für die moralische Berücksichtigung nicht zu sein scheint, was selbst moralisch geleistet werden kann, sondern ob das betreffende Lebewesen in entscheidender Hinsicht vulnerabel ist.

Mittlerweile halten es zahlreiche Autor*innen für plausibler, anzunehmen, die Schädigung empfindungsfähiger Lebewesen sei als solche und gegenüber diesen selbst moralisch bedenklich. Entsprechend geht es bei einer ethischen Forderung zum Vermeiden von tierischem Schaden nicht um die Auswirkungen, die grausame Verhaltensweisen auf die Interaktion mit anderen Menschen haben können, sondern den Umgang mit den betroffenen Tieren an sich. In diesem Zusammenhang kann die Präambel des Europäischen Übereinkommens zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftlich verwendete Wirbeltiere des Europarates aus dem Jahre 1986 angeführt werden, welches auf der Überzeugung basiert, dass für den Menschen eine „ethische Verpflichtung“ besteht, die „Leidensfähigkeit“ und das „Empfindungsvermögen“ von Tieren „angemessen zu berücksichtigen“, dass er aber zugleich in seinem Streben nach „Wissen, Gesundheit und Sicherheit Tiere verwenden muß“. 

2. Nicht-anthropozentrische Ansätze

Einschlägig für die Begründung eines moralischen Status von nicht-menschlichen Tieren wird, wie auch in der zuvor zitierten Präambel, zum Beispiel auf ihr Empfindungsvermögen oder ihre Interessen verwiesen. Die beiden daraus hervorgehenden Ansätze, die man als Tierinteressenposition und Tierrechtsposition bezeichnen kann, dominieren gegenwärtig die Diskussion um den angemessenen Umgang mit Tieren. In jüngerer Zeit haben zudem relationalistische Ansätze an Relevanz gewonnen, die den moralisch zulässigen Umgang mit nichtmenschlichen Tieren darüber bestimmen, in welchem Verhältnis wir zu ihnen stehen.

2.1 Tierinteressenposition
Peter Singer macht den moralischen Status von Lebewesen von ihrer Fähigkeit, Interessen (zum Beispiel an Lebenserhaltung und Schmerzfreiheit) zu haben, abhängig. Alle Lebewesen, die in gleicher Weise über Interessen verfügen, haben einen gleichen moralischen Status. Aus dieser Sichtweise ergeben sich zwei Konsequenzen: eine Aufwertung des moralischen Status von interessefähigen Tieren und eine Abwertung des moralischen Status von nicht bzw. vermindert interessefähigen menschlichen Lebewesen. Die Forschung an menschlichen Embryonen beispielsweise stellte sich (da Embryonen noch kein Interesse an Schmerzfreiheit oder Lebenserhaltung haben) nicht länger als ethisches Problem dar, während schmerzhafte Versuche an Mäusen ein gravierendes moralisches Übel wären. 

Für die Einstellung, gleichermaßen an einer schmerzfreien Existenz interessierte Lebewesen wie Menschen und Mäuse hätten einen so unterschiedlichen "Wert", dass die einen zum Wohle der anderen genutzt werden dürften, prägt Singer in seinem Buch "Animal Liberation" ("Die Befreiung der Tiere") den Ausdruck Speziesismus. Speziesismus ist für Singer eine Form von Diskriminierung, ebenso wie Rassismus und Sexismus: Ohne dass es dafür moralisch relevante Gründe gibt, wird eine Gruppe von Lebewesen von einer anderen benachteiligt. Speziesismus ist also eine Art Gruppenegoismus der Menschheit gerichtet gegen nicht-menschliche Wesen.

Was bedeutet das für den Bereich Tierversuche? Singer spricht sich nicht für ein absolutes Verbot von Tierversuchen aus (im Gegensatz zu den Verfechter*innen von Tierrechten). Er spricht sich aber ebenso wenig für ein absolutes Verbot von Versuchen an Menschen aus. Aufgrund von Selbst- und Zukunftsbewusstsein haben (die meisten) Menschen, Singers Einschätzung nach, ein größeres Interesse daran, nicht als Forschungsobjekt missbraucht zu werden, als Tiere. Für Menschen ist aufgrund ihrer Zukunftsbezogenheit zudem das eigene Weiterleben von wesentlich größerer Bedeutung als für Tiere. Aufgrund dieser weiterreichenden Interessen der Menschen ist nach Singer in gewissem Maße die Nutzung von Tieren in biomedizinischen Experimenten eher gerechtfertigt als die Nutzung von Menschen. Versuche an Menschen, die aufgrund fehlender kognitiver und emotionaler Fähigkeiten über eine vergleichbar eingeschränkte Interessensfähigkeit, wie z.B. höhere Tiere, verfügen (beispielsweise Säuglinge oder Menschen mit schwersten kognitiven und körperlichen Einschränkungen), sind aber nach Singer in moralischer Hinsicht mit bestimmten Tierversuchen gleichwertig.
Singers Position ist pathozentrisch, das heißt er fordert die moralische Gleichstellung aller empfindungsfähigen Wesen. Ob Tiere aber überhaupt und, falls ja, in welchem Maße empfindungsfähig sind, war lange umstritten. In der Neuzeit war die These verbreitet, Tiere seien sowohl unfähig zu denken als auch zu fühlen. Das kann, zumindest für alle Wirbeltiere, mittlerweile als wissenschaftlich überkommene Sichtweise gelten. Auch in dem „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union” (AEUV) bekennen sich die Mitgliedstaaten der EU dazu, „[b]ei der Festlegung und Durchführung der Politik der Union […] den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere als fühlende Wesen in vollem Umfang Rechnung” zu tragen (Titel II Artikel 13 des AEUV). 

2.2 Tierrechte
Gemäß der "Position der Rechte" wie sie von Tom Regan, ihrem Begründer, bezeichnet wird, ist die wesentliche Eigenschaft, die ein Lebewesen aufweisen muss, damit es Träger von Rechten sein kann, das "Subjektsein eines Lebens". Jedes Lebewesen, das über ein individuelles Wohlergehen verfüge, habe einen Eigenwert (inhärenten Wert) und sei damit nicht nur ein Mittel für fremde Zwecke. So weit ähneln sich Tierinteressenposition (s. o.) und Tierrechtsposition.
Mit der Forderung nach Tierrechten sind allerdings weitreichendere Konsequenzen intendiert als mit der Forderung, tierische Interessen ebenso wie menschliche Interessen zu berücksichtigen. Die Position der Rechte macht gegenüber der Tierinteressenposition geltend, dass alle Lebewesen, die Subjekt eines Lebens sind, durch individuelle Rechte geschützt sein sollten. Zur Debatte steht also die Frage, ob das Konzept der Rechte, wie es bezogen auf Menschen besteht, auf Teile der Tierwelt ausgeweitet werden kann und soll. Falls Tiere ebenso wie Menschen individuelle moralische Rechte besäßen, wären Tierversuche auch dann ausgeschlossen, wenn diese einen herausragenden Nutzen versprächen - ebenso wie (zwangsweise durchgeführte) Versuche an Menschen unter allen Umständen unvertretbar sind, unabhängig vom Nutzen für die Allgemeinheit. Vertretende einer Position der Rechte lehnen entsprechend Tierversuche, ebenso wie den Verzehr von Fleisch, generell ab.

Gegen die Position der Rechte wird gelegentlich folgender Einwand erhoben: Rechte haben als solche nur Bestand durch ihre wechselseitige Anerkennung (zu der Tiere nicht fähig sind). Warum aber sollten Tiere Rechte haben, wenn ihnen die Einsicht in deren Bedeutung und die Möglichkeit danach zu handeln fehlen? Tierrechtler*innen führen gegen diesen Einwand das "Argument der Grenzfälle" an: auch menschliche Wesen müssen nicht moralfähig und rational sein, um Träger von Rechten zu sein (wie etwa Säuglinge, Menschen mit schwersten geistigen Einschränkungen oder Personen im Koma). In diesen Fällen werde der Schutz der Rechte durch eine Anwaltschaft sichergestellt.
Eine Art Minimalforderung der Vertretenden der Tierrechtsposition und der Tierinteressenposition ist die Forderung nach Menschenrechten für Menschenaffen

2.3 Mitleid mit Tieren
Als bekanntester Vertreter der Mitleidsethik verzichtet Arthur Schopenhauer im Gegensatz zu Vertretenden der Tierinteressen- und Tierrechteposition auf die Zuweisung eines moralischen Status. Durch diesen Verzicht versuchen Vertretende der Mitleidsethik Vorannahmen über allgemein geteilte Werte, wie z.B. die Würde des Menschen, zu umgehen, da diese den moralischen Status begründen sollen, gleichzeitig aber nicht von allen akzeptiert werden (können).

Ähnlich wie bei Singer ergibt sich für Schopenhauer der Kreis der schutzwürdigen Mitglieder einer Moralgemeinschaft aus denjenigen Wesen, die leidfähig sind. Der Mensch erkennt durch sein Mitleid mit anderen Wesen die Schutzwürdigkeit des Gegenübers und die Verpflichtung, dieses vor Leid zu bewahren. Als leidfähige Wesen gelten auch Tiere, deren Schutzbedürftigkeit Schopenhauer jedoch im Vergleich zum Menschen geringer einschätzt, da die Leidfähigkeit eines Wesens abhängig von dessen Intelligenz ist und daher der Mensch als intelligentestes Wesen die höchste Leidensqualität besitzt.

Demnach sind Fleischverzehr und Nutztierhaltung legitim, solange ein schmerzfreier Tod gewährleistet wird und der Verzehr überlebenswichtig ist und im zweiten Fall die Nutzung der Tiere nicht maßlos ist. Tierversuche, die Leiden bei Tieren verursachen, lehnt Schopenhauer grundsätzlich ab. Analog zu der Rechtfertigung des Fleischverzehrs lässt er Tierversuche jedoch dann zu, wenn sie nahezu schmerzfrei erfolgen und essentiell für das Überleben des Menschen sind. 

Angelehnt an Arthur Schopenhauer entwickelt Ursula Wolf als Erweiterung der Mitleidsethik den Ansatz des generalisierten Mitleids. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass er, abseits von Werten und Zuweisungen von Status, Rechte und Pflichten zur Leidensvermeidung zu begründen versucht. Schopenhauer hatte auf eine Begründung von Rechten und Pflichten verzichtet; für ihn leiten sich die Grundregeln der Ethik aus dem Mitleid ab. Wolf hingegen leitet aus Mitleid Schutzpflichten gegenüber allen Leidfähigen ab, welche sich aber ausschließlich an Menschen richten, da nur sie über die nötigen Reflektionsfähigkeiten zu moralischem Handeln verfügen. Im Vergleich zu Regans Tierrechteposition fußen Wolfs Pflichten auf der Grundlage des Mitleids, während Regan Rechte und Pflichten an dem inhärenten Wert der Wesen festmacht.

Mitglied der Moralgemeinschaft sind diejenigen, die über Leidfähigkeit verfügen. Zu beachten ist hier die höhere Schutzdimension derjenigen Wesen, die über ein zumindest basales Selbstbewusstsein verfügen. Insgesamt verwehrt sich Wolf einer Statusunterscheidung zwischen Menschen und Tieren, indem sie die vorgebrachten empirischen Begründungen für nicht stichhaltig befindet und grundsätzlich alle leidfähigen Wesen als gleich schutzwürdig betrachtet.

Auf die Frage nach der Legitimität von Tierversuchen ergibt sich bei Wolf folgender Standpunkt: Die Höherwertigkeit des Menschen aufgrund empirischer Tatsachen, wie z.B. einer vermeintlich höheren Leidfähigkeit aufgrund seiner Intelligenz, weist Wolf als moralisch irrelevant zurück, sie rechtfertigen keine Statusabstufung und demnach auch keine Tierversuche, in denen Tiere leiden.

Ansätzen der Mitleidsethik wird, ähnlich wie den Vertretenden der Tierrechteposition, oftmals vorgeworfen, moralische Rücksichtnahme sei nur denjenigen Wesen gegenüber sinnvoll, die ihrerseits zu moralischer Rücksichtnahme fähig sind, so dass aufgrund ihrer Fähigkeiten nur Menschen in den Kreis der direkt Schutzwürdigen aufgenommen werden sollten. Wolf entgegnet hier, dass die besondere Fähigkeit des Menschen zu moralischem Handeln auch Tieren gegenüber ausgeübt werden sollte, eben weil Menschen die Fähigkeit dazu besäßen.

2.4 Relationalistische Ansätze

Die Mitleidsethik umfasst einige Aspekte, die auch in zeitgenössischen, s.g. relationalistischen Ansätzen vorkommen. So hängt die Möglichkeit, Mitleid mit einem bestimmten Tier zu empfinden, nicht zuletzt davon ab, in welchem Verhältnis wir zu ihm stehen. Dabei macht es zum Beispiel einen Unterschied, ob die Begegnung im natürlichen Lebensumfeld des Tieres stattfindet und es uns womöglich als Beute ansieht oder ob es sich in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Menschen befindet und auf deren guten Willen angewiesen ist. Gleichermaßen fällt es häufig leichter, Mitleid mit Tieren zu empfinden, die als ästhetisch ansprechend oder niedlich wahrgenommen werden, als mit solchen, die ein für viele Menschen abstoßendes und furchteinflößendes Aussehen haben. Beides sind Aspekte der Beziehung, in der Menschen zu bestimmten Tierarten stehen können. Darüber hinaus gibt es weitere Aspekte innerhalb der Beziehungen zwischen Menschen und Tieren, auf deren Grundlage Verantwortung oder Rücksichtnahme gegenüber tierischen Lebens begründet werden können. Dazu zählen neben der Nützlichkeit eines bestimmten Tiers oder einer Tierart für den Menschen oder die gemeinsame Geschichte, die ein Mensch mit einem anderen Tier teilt bzw. eine Gruppe von Menschen mit einer bestimmten Tierart, auch mögliche Abhängigkeiten und Verpflichtungen, die aufgrund der Haltung der Tiere, ihre durch den Menschen (direkt) beeinflussten Lebensumstände oder gar ihrer genetischen Entstehung (Zucht, Domestizierung) erwachsen.

Relationalistische Ansätze sprechen nicht-menschlichen Tieren einen Eigenwert auf Grundlage der Verantwortungsbeziehungen zu, in denen Menschen zu ihnen stehen. Entsprechend ergeben sich Pflichten gegenüber einzelnen Tieren bzw. Tierarten hier aus dem tatsächlichen oder potenziellen Verhältnis, das etwa durch Möglichkeiten zur Interaktion oder Abhängigkeiten (in beide Richtungen) begründet werden kann. Hierbei ist grundsätzlich zwischen einem persönlichen und einem unpersönlichen Relationalismus zu unterscheiden: Der persönliche Relationalismus geht davon aus, dass die moralische Bedeutung von Tieren davon abhängt, wie wir als Individuen eine Beziehung zu einem bestimmten Tier aufbauen können. Theorien, die sich unter diesem Oberbegriff subsumieren lassen, dazu zählen sowohl sentimentale, also auch feministische Ansätze, vertreten die Annahme, dass Moral im Allgemeinen eine Frage der Erweiterung unserer natürlichen Haltungen wie Sympathie und Fürsorge gegenüber anderen Lebewesen ist. Im Gegensatz dazu basiert der unpersönliche Relationalismus und die ihm zuzurechnenden Theorien nicht auf Formen der Moral, die sich aus persönlichen Einstellungen ergeben, sondern fußt in Gerechtigkeitspflichten, die aufgrund besonderer Arten von unpersönlichen Beziehungen, wie etwa dem Beitrag zur sozialen Zusammenarbeit, bestehen. Angelehnt an die Rawlssche Idee von Gerechtigkeit, werden unter der Annahme, dass allen Wesen (und damit auch Tieren), die durch Kooperation und Teilhabe an der Produktion sozialer Güter mitwirken, unter dem Konzept der Fairness Berücksichtigung zusteht und Menschen ihnen deswegen einen gerechten Anteil, beispielsweise in Form von besseren Lebensbedingungen oder besonderen Rechten, schulden. Eine solche Partizipation von Tieren liegt beispielsweise dann vor, wenn sie zur Ernährung (z. B. als Nutztiere), zur wissenschaftlichen Forschung (z. B. als Versuchstiere) oder zur individuellen Unterstützung von Menschen (z. B. als Wach- oder Blindenhunde) eingesetzt werden.

Eine Theorie, die sowohl den persönlichen, als auch den unpersönlichen Relationalismus miteinander verbindet, ist die Clare Palmers (Modul: Relationalistische Ansätze) Hier werden vielfältige und abweichende menschliche Pflichten gegenüber Tieren durch die verschiedenen Arten von moralisch bedeutsamen Mensch-Tier-Beziehungen begründet, welche nicht nur auf Zuneigung, Kameradschaft und Domestizierung beschränkt sind, sondern auch eine Reihe von kausalen Beziehungen umfassen, die das Leben der Tiere bewusst oder unbewusst beeinflussen. So haben Menschen domestizierten Tieren gegenüber, in Abgrenzung zu in Freiheit lebenden Wildtieren, in besonderem Maße moralische Verantwortung, weil diese je nach Domestizierungsgrad in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Menschen stehen und die durch ihre besonderen Lebens- und Existenzumstände erzeugte Vulnerabilität explizite Pflichten des Menschen fordert.

2.1.4 Biozentrismus

Aus den hier vorgestellten Ansätzen heraus, lässt sich womöglich nur für den Schutz einiger Tierarten argumentieren, während andere, jene, die wahrscheinlich nicht in einem uns verständlichen Sinne, schmerzempfindlich sind, systematisch von moralischen Berücksichtigungen ausgeschlossen werden. So verweist beispielsweise David DeGrazia, ein Vertreter des Pathozentrismus, also einer Tierinteressenposition, in mehreren Aufsätzen darauf, dass es überzeugende empirische Evidenz gebe, dass Insekten nicht schmerzempfindlich seien und ihnen gegenüber entsprechend keine moralische Pflicht bestehe. Im Kontext von Tierversuchen könnte an Insekten also Beliebiges auf beliebige Weise erforscht werden, gleiches gilt für alle weiteren, nicht schmerzempfindlichen Lebewesen.

Eine solche Argumentation basiert einerseits auf der Annahme, dass die Phänomenalität von Insekten oder anderen nicht-schmerzempfindlichen Tieren vollständig verstanden ist und andererseits, dass alle relevante Formen von Leiden sich auf eine für Menschen zugängliche Weise äußern. Aus einer skeptischen Perspektive heraus, lassen sich diese beiden Annahmen anzweifeln und verweisen auf eine anthropozentrische Ausrichtung auch nicht explizit anthropozentrischer, tierethischer Positionen.

Der Biozentrismus versucht einer beschränkt menschlichen Perspektive zu entkommen und postuliert, dass uneingeschränkt alle Lebewesen, also auch jene, die nicht offensichtlich empfindungs- oder interessefähig sind, moralisch berücksichtigenswert, d.h. um ihrer selbst willen zu schützen sind. In der Praxis ist diese Haltung jedoch mit großen Herausforderungen verbunden. So scheint es unmöglich, Bakterien oder andere Einzeller mit der gleichen moralischen Vorsicht zu behandeln, wie zum Beispiel Säugetiere. Ein zentrales Problem hierbei besteht darin, konfligierende Interessen gegeneinander zu gewichten. Entsprechend tun sich Vertretende des Biozentrismus oft schwer, eindeutige und radikale Maßnahmen zu fordern. Ein bekannter Vertreter einer biozentrischen Position war Albert Schweitzer, der Tierversuche selbst nicht kategorisch ablehnte, jedoch zu einem insgesamt schonenderen Umgang mit Tieren (und Pflanzen) aufrief.

Interessenkonflikte und trade-offs

Für alle Ansätze gilt, dass sie einen grundlegenden moralischen Status von nicht-menschlichen Tieren zu begründen vermögen. Damit ist jedoch, mit Ausnahme im Falle der Tierrechtspositionen, nichts darüber gesagt, wie die Interessen einzelner Lebewesen in ein Verhältnis zueinander zu setzen sind. Das Problem der Interessenkonflikte besteht darin, wie unterschiedliche Interessen unterschiedlicher moralischer Subjekte gegeneinander aufzuwiegen sind, so etwa im Fall moralischer Dilemmata. Wird von einem grundlegenden moralischen Status nicht-menschlicher Tiere ausgegangen, ergibt sich, u.a. für die medizinische Forschung, eine grundlegende moralische Herausforderung. Einerseits gilt es, die Gesundheit anderer Menschen langfristig zu bewahren, indem zum Beispiel Behandlungsmöglichkeiten für neu aufkommende Krankheiten entwickelt werden. Andererseits ist die medizinische Forschung trotz zunehmender Alternativen nach wie vor darauf angewiesen an Lebewesen zu forschen, um die Wirksamkeit ihrer Ergebnisse zu erproben, wobei in einer Vielzahl der Fälle gegen grundlegende Interessen der Forschungssubjekte verstoßen wird. Es stehen sich hier also ein gesellschaftliches Interesse an medizinischem Fortschritt und ein individuelles Interesse an körperlicher Unversehrtheit einzelner Lebewesen gegenüber. Wie mit solchen Konflikten umzugehen ist, hängt von verschiedenen theoretischen Vorannahmen im Zusammenhang mit der Zuschreibung eines moralischen Status zusammen.

Entscheidend an dieser Stelle ist die Unterscheidung zwischen skalierten und nicht skalierten oder absoluten Theorien moralischen Status. Während letztere den moralischen Eigenwert eines Lebewesen rigoros festlegen, häufig auf Grundlage eines einzelnen, entscheidenden Kriteriums, wie z.B. Leidensfähigkeit, und keine Abstufungen zulassen, eröffnen skalierte Theorien die Möglichkeit, eine Hierarchisierung zwischen unterschiedlichen moralisch Adressierten vorzunehmen. Derartige Ansätze gründen in vielen Fällen in der Sichtweise, dass die, für einen moralischen Status konstitutive, Eigenschaft stärker oder schwächer ausgeprägt sein kann oder dass aus einer Liste von konstitutiven Eigenschaften mehr oder weniger Kriterien erfüllt sein können. Für die Beurteilung der moralischen Zulässigkeit ergeben sich unter der Annahme eines grundlegenden moralischen Status von nicht-menschlichen Tieren also zwei weitere Beurteilungsszenarien: Entweder wird der moralische Status der Versuchstiere dem von Menschen gleichgesetzt oder, obwohl die Eigeninteressen von Tieren prinzipiell anerkannt werden, wird ihr moralischer Status dem von Menschen nachgestellt. Hypothetisch könnte auch davon ausgegangen werden, dass der moralische Status von Menschen dem von anderen Tierarten untergeordnet ist, eine allgemeine, auf Speziesebene stattfindende Argumentation für eine solche Position kann jedoch als unüblich erachtet werden.

Vertretenden der moralischen Zulässigkeit von Tierversuchen stehen in der Regel keine theoretischen Mittel zur Verfügung, einen Speziesegalitarismus, also die Sichtweise, dass alle Tiere bzw. alle Lebewesen gleichermaßen moralisch bedeutsam sind, zu vertreten, wenn sie nicht zu eben jener Sichtweise in Widerspruch geraten möchten. Letztlich profitieren die Versuchstiere oder deren Spezies in den wenigsten Fällen auf irgendeine Weise von den an ihnen durchgeführten Experimenten und es ist fragwürdig, ob sie für ihr Leiden entschädigt werden können bzw. ob eine solche Entschädigung einen moralischen Unterschied machen würde. Stattdessen ist ein Rückgriff auf skalierte Theorien notwendig, verbunden mit der Annahme, dass menschliche Interessen grundsätzlich stärker zu gewichten sind, als die anderer Tiere. Eine gängige Argumentation dahingehend  lautet folgendermaßen:

  1. Es ist ethisch geboten und angemessen, wissenschaftliche Forschung zur Erweiterung der medizinischen Ressourcen und zur Behandlung von menschlichen Krankheiten durchzuführen.
  2. Je wichtiger es dabei ist, menschliche Krankheiten zu behandeln, desto schwerer kann diese Wichtigkeit beim Festlegen der ethischen Angemessenheit einer Forschungspraktik zur Erforschung der Krankheit gewichtet werden.
  3. Menschen sind wichtiger und von größerem moralischen Wert, als andere Tiere.
  4. Es ist manchmal angemessen ist, Tiere zur Erforschung von menschlichen Krankheiten zu instrumentalisieren.

Einen anderen Vorschlag, wie die Begründung einer solchen Position aussehen könnte, der mehr in Richtung des Relationalismus geht, hat der Philosoph Jürgen Habermas unterbreitet. Er gesteht Tieren einen genuin moralischen Status zu, der jedoch von dem Grad der sozialen Interaktion, in die Tiere mit uns treten, abhängig ist. Dies scheint die moralische Intuition gut abzubilden, dass menschliches Verhalten vor allem gegenüber hoch entwickelten Säugetieren moralisch relevant ist.

Auch das Tierschutzgesetz, speziell die Nachweispflicht von Unerlässlichkeit und ethischer Vertretbarkeit von Tierversuchen, verpflichtet sich näherungsweise diesem Verständnis.

Zitiervorschlag

Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (2024): Im Blickpunkt: Tierversuche in der Forschung. URL https://www.drze.de/de/forschung-publikationen/im-blickpunkt/tierversuche-in-der-forschung [Zugriffsdatum]

Wird geladen