Tierversuche in der Forschung

Einige Passagen dieses Blickpunktes sind dem DRZE-Sachstandsbericht Tiere in der Forschung entnommen.

I. Die Bedeutung des Tierversuchs für die Forschung

Versuchstierzahlen: Deutschland und Europa

Tierversuche werden u. a. zur Erforschung von physiologischen Prozessen, zur Entwicklung von Produkten und Therapieverfahren und zur Überprüfung der Produktsicherheit durchgeführt.

Bei steigendem Forschungsaufkommen sind die Versuchstierzahlen in Deutschland seit dem Jahr 2014 relativ konstant geblieben (um 2,8 Millionen). Die aktuelle Statistik zu Versuchstierzahlen in Deutschland wurde vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im Jahr 2019 veröffentlicht und ist auf das Jahr 2018 bezogen.

Von den 2018 insgesamt in Deutschland für wissenschaftliche Zwecke verwendeten 2.825.066 Wirbeltieren und Kopffüßern wurden rund 2,1 Millionen in Tierversuchen eingesetzt, knapp 700.000 Tiere wurden ohne vorherige Eingriffe für wissenschaftliche Zwecke getötet. Mit einem Anteil von rund 44 % an der Gesamtzahl der Versuchstiere wurden 2018 die meisten Tiere in der biologischen Grundlagenforschung verwendet. Während seit 1991 keine Menschenaffen mehr für Versuchszwecke eingesetzt werden, zieht man mit Abstand am häufigsten Nagetiere und Fische für wissenschaftliche Zwecke heran; 2018 stellten sie gut 92 % der insgesamt verwendeten Tiere. Der besonders hohe Anteil an Mäusen (etwa 72 %) ist u. a. auf die Haltungsbedingungen, eine kurze Generationenfolge und den vermehrten Einsatz transgener Mäuse zurückzuführen. Ein weiterer Grund ist die Genomentschlüsselung, da bisher nicht nur das Genom des Menschen, sondern auch das von Mäusen vollständig entschlüsselt ist. Mäuse und Ratten stellen zusammen sowohl in Deutschland als auch in der EU die größte Versuchstiergruppe dar.

Nach der 2019 veröffentlichten Statistik der Europäischen Kommission wurden in den Mitgliedstaaten der EU im Jahr 2017 etwa 9,4 Millionen Tiere erstmals für wissenschaftliche Versuche verwendet. Verglichen mit den Angaben für das Jahr 2016, in dem eine Verwendung von etwa 9,8 Millionen Tieren verzeichnet wurde, ergibt sich damit ein Rückgang um etwa 4,5 %. Hunde, Katzen und nicht-menschliche Primaten machten 2017 bei den EU-Mitgliedsstaaten weniger als 0,3 % der erstmals verwendeten Versuchstiere aus. Seit Inkrafttreten der EU Tierschutzrichtlinie 2010/63/EU im Jahre 2010 ist die Durchführung von Versuchen an Menschenaffen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union verboten.

Mit dieser im Jahr 2010 in Kraft getretenen Richtlinie und dem Durchführungsbeschluss 2012/707/EU wurde außerdem das Meldewesen für Tierversuche innerhalb der EU vereinheitlicht. Hierdurch erhielt die 2019 veröffentlichte Statistik der Europäischen Kommission zur Erhebung von Versuchstierdaten eine neue Ausrichtung bezüglich der Übermittlung und Veröffentlichung. Die EU-Mitgliedsstaaten haben bereits 2015 die Übermittlung von Versuchstierzahlen an die neuen Vorgaben angepasst, sodass ihre Erhebungen seither u. a. weitere Tierarten und Lebensformen (z. B. Kopffüßer und Föten) sowie den Schweregrad der Verfahren dokumentieren. Zudem wurde der Anwendungsbereich der bisherigen Richtlinie auf die Verwendung von Tieren in der Grundlagenforschung sowie der Routineproduktion erweitert; letzteres bedeutet, dass Tiere im Rahmen von Chemikalientests oder Arzneizulassungen grundsätzlich getötet werden dürfen.

Alternativmethoden

In verschiedenen Bereichen können Tierversuche durch alternative Methoden ersetzt werden. So werden viele Experimente gegenwärtig an Zellkulturen durchgeführt. In Abgrenzung zu Versuchen an lebenden Organismen (In-vivo-Methoden) werden diese als In-vitro-Methoden ("im Reagenzglas") bezeichnet. Auch Computersimulationen können dem Ersatz von Tierversuchen dienen, da sie helfen, die Wirkweise von Stoffen im Körper vorherzusagen. In welchem Maße Alternativmethoden Tierversuche in naher Zukunft ersetzen können, ist umstritten. Zumindest für den Bereich der Kosmetikforschung ist ein vollständiger Ersatz der Sicherheitsprüfungen am Tier durch alternative Testverfahren vorgesehen. Forschende weisen aber darauf hin, dass auch zukünftig Tierversuche, vor allem in Medikamentenprüfungen, nicht vollständig zu ersetzen seien: die Komplexität eines intakten Organismus sei notwendig, um alle Wirkungen eines Stoffes zu überprüfen. So ist im Bereich der neurobiologischen Grundlagenforschung sowie der Infektionsforschung laut einiger in der Wissenschaft tätigen Personen die Forschung an nicht menschlichen Primaten bislang noch unersetzbar.

Übertragbarkeit der Ergebnisse aus Tierversuchen

In größerem Umfang werden Tierversuche erst seit der Neuzeit durchgeführt. Seither gibt es eine breite Debatte über die Zulässigkeit von Tierversuchen. Seit Beginn dieser Debatte führen Personen, die den Einsatz von Tierversuchen kritisieren, an, die am Tier gewonnenen Erkenntnisse seien nicht auf den Menschen übertragbar und deshalb überwiegend nutzlos. Dieser Vorwurf zielt sowohl auf die in der Grundlagenforschung (z. B. am "Maus-Modell") gewonnenen Erkenntnisse, als auch auf die Ergebnisse von Medikamentenprüfungen an Tieren (siehe Teil II). Zur Debatte stand und steht, ob unterschiedliche Spezies (wie Mensch und Maus) wegen der strukturellen und funktionellen Gleichartigkeit vieler Organe auf gleiche Stoffe gleich reagieren, oder ob die Wirkweise von Stoffen im Organismus in stärkerem Maße speziesspezifisch ist. Wäre Letzteres der Fall, böten beispielsweise Stoffprüfungen am Tier nur eine vermeintliche Sicherheit. In der Geschichte finden sich Belege für beide Auffassungen: Verschiedentlich wurden Forschende durch die Ergebnisse von Tierversuchen zu falschen Forschungshypothesen verleitet (z. B. bei der Forschung an Poliomyelitis (Kinderlähmung) oder bei der Prüfung der Produktsicherheit in falscher Sicherheit gewiegt (wie im Fall von Contergan). In anderen Fällen erwiesen sich die im Tierversuch beobachteten Wirkeffekte als auf den Menschen übertragbar. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die zentrale Selbstverwaltungseinrichtung der Wissenschaft in Deutschland, geht davon aus, dass durch einen Tierversuch "erwünschte und etwa 70% der unerwünschten Wirkungen, die den Menschen betreffen" vorhersagbar sind (DFG (2004): Tierversuche in der Forschung. Bonn: Lemmens Verlags- und Mediengesellschaft, 2004: 18).

II. Rechtliche Aspekte der Forschung an Tieren

Gemäß § 7 Abs. 2 des deutschen Tierschutzgesetzes (TierSchG) werden „Tierversuche” aufgefasst als Eingriffe oder Behandlungen zu Versuchszwecken an Tieren oder deren Erbgut, wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für diese Tiere, ihre Nachkommen oder Trägertiere verbunden sein können. Des Weiteren umfasst der Begriff „Tierversuche” auch Eingriffe oder Behandlungen, die nicht Versuchszwecken dienen. Sie werden in § 7 Abs. 2 Satz 2 gesondert aufgelistet und beinhalten u. a. die Entnahme von Organen zu Transplantationszwecken.

Im Jahr 2002 wurde der Tierschutz in Deutschland zur sogenannten Staatszielbestimmung (Art. 20a Grundgesetz) erhoben. Staatszielbestimmungen begründen kein subjektives Recht und sind nicht einklagbar, dennoch stellen sie – wie auch die Grundrechte – Verfassungsgüter dar. Dieser Umstand legitimiert aus verfassungsrechtlicher Perspektive prinzipiell die Einschränkung der Forschungsfreiheit durch tierschutzrechtliche Vorschriften. Es bleibt jedoch weiterhin umstritten, wie die bereits bestehenden Vorschriften zur behördlichen Genehmigungspraxis von Tierversuchen nach der Verfassungsänderung auszulegen sind und wie stark der Tierschutz als Staatszielbestimmung das vorbehaltlose Grundrecht auf Forschungsfreiheit tatsächlich einschränken kann.
Am 13.08.2013 ist außerdem die Tierschutz-Versuchstierverordnung (TierSchVersV) in Kraft getreten. In dieser Verordnung werden Voraussetzungen für den Schutz von Versuchstieren (z. B. Haltungsbedingungen) und Vorschriften für die Durchführung von Tierversuchen konkretisiert.

Die Schweiz und Luxemburg sind bislang die weltweit einzigen Länder, die Tieren eine Würde zuschreiben und sie somit direkt unter verfassungsrechtlichen Schutz stellen. Damit soll der Eigenwert von Tieren verstärkt hervorgehoben und die Notwendigkeit für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Tieren betont werden.

1. Einschränkung und Verbot von Tierversuchen

Die Zulässigkeit von Tierversuchen wird in § 7a Abs. 1 TierSchG auf bestimmte Zwecke begrenzt, für die Tierversuche unerlässlich sein müssen. Hierzu zählen z. B. die Forschung zur Behandlung von Krankheiten, zum Schutz der Umwelt oder auch die Prüfung der Unbedenklichkeit von Arznei- und Lebensmitteln.

Tierversuche dürfen nach § 7 Abs. 1 Satz 3 TierSchG ausschließlich von Personen durchgeführt werden, die über die hierfür „erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten” verfügen. Die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten können gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) mit Einverständnis des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und des Bundesrates festgesetzt werden.

Im fünften Abschnitt des deutschen Tierschutzgesetzes ist vorgeschrieben, unter welchen Voraussetzungen Tierversuche durchgeführt werden dürfen und inwieweit diese einer Genehmigungs- oder bloßen Anzeigepflicht unterliegen. Um Tierversuche an Wirbeltieren oder Kopffüßern vorzunehmen, bedarf es einer Genehmigung durch die zuständige Behörde. Der Genehmigungsvorbehalt ist in § 8 TierSchG verankert und enthält Voraussetzungen, die für eine erfolgreiche Genehmigung erfüllt sein müssen. Dabei werden neben der Unerlässlichkeit des Tierversuchs insbesondere die fachliche Eignung der Versuchsleitenden hinsichtlich des Umgangs mit Versuchstieren und die Haltungsbedingungen der Versuchstiere berücksichtigt.

Hiervon abzugrenzen sind Tierversuche, die den Voraussetzungen des § 8a Abs. 1 TierSchG entsprechen und daher nicht genehmigungsbedürftig, sondern lediglich anzeigepflichtig sind. Darunter fallen etwa Versuchsvorhaben an Zehnfußkrebsen (§ 8a Abs. 3) sowie durch Gesetze oder Rechtsverordnungen vorgeschriebene Tierversuche (§ 8a Abs. 1 Nr. 1).

Für bestimmte Forschungsziele, z. B. „zur Entwicklung oder Erprobung von Waffen, Munition und dazugehörigem Gerät” (§ 7a Abs. 3), sind Tierversuche nach deutschem Recht ausdrücklich verboten. Dieses Verbot gilt im Allgemeinen auch für Tierversuche „zur Entwicklung von Tabakerzeugnissen, Waschmitteln und Kosmetika” (§ 7a Abs. 4); das Gesetz lässt in Ausnahmenfällen jedoch Genehmigungen zu. 

Bereits seit 1991 werden in Deutschland keine Tierversuche an Menschenaffen (Gorillas, Orang-Utans, Schimpansen und Bonobos) mehr durchgeführt. Ein entsprechendes gesetzliches Verbot wurde allerdings erst in der EU-Richtlinie 2010/63/EU (siehe 3.2.2) formuliert. Dieses Verbot wurde in Deutschland 2013 in § 23 TierSchVersV aufgegriffen. Für besondere Ausnahmezustände ist in Art 55 Abs. 2 RL 2010/63/EU die Möglichkeit eingeräumt worden, den Einsatz von Menschenaffen zu Versuchszwecken unter strengen Voraussetzungen zu genehmigen.

2. Vorschrift und Gebot von Tierversuchen

Bevor bestimmte Produkte, wie z. B. Medikamente oder Schädlingsbekämpfungsmittel, für den Markt zugelassen werden, müssen Handeltreibende den Nachweis erbringen, dass sie der menschlichen Gesundheit und Umwelt nicht schaden.
Auf europäischer Ebene finden sich verschiedene Richtlinien und Verordnungen, die Tierversuche im Rahmen der Stoff- und Verfahrensprüfung vorschreiben und Vorrang vor nationalem Recht haben. Deshalb können Handeltreibende seitens der EU-Gesetzgebung zur Durchführung von Tierversuchen in Sicherheitsprüfungen verpflichtet sein, auch wenn nationale Gesetze dies nicht fordern.
Allerdings sind Tierversuche auch in verschiedenen deutschen Gesetzen vorgeschrieben. Sie werden z. B. im Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (ChemG), in der Verordnung über Medizinprodukte (MPV), im Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen (PflSchG) oder in der Verordnung über Pflanzenschutzmittel und Pflanzenschutzgeräte (PflSchMGV) gefordert.

Da viele Produkte über Deutschland hinaus vertrieben werden und somit auch den Sicherheitsstandards anderer Länder genügen müssen, verabschiedet u. a. die internationale Handelsorganisation Organization for Economic Cooperation and Development (OECD) Empfehlungen zu Stoffprüfungen und legt Sicherheitsstandards für ihre Mitgliedstaaten fest. Sicherheitsnachweise, die nach OECD-Standards erbracht wurden, werden in allen OECD-Mitgliedstaaten akzeptiert. Damit werden wiederholte Sicherheitsprüfungen und unnötige Tierversuche vermieden.

3. Europäischer Hintergrund

Europarat: Europäisches Übereinkommen zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Wirbeltiere
Der Europarat hat im Jahr 1986 das „Europäische Übereinkommen zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Wirbeltiere” verabschiedet, das seither durch einige Änderungsvorschriften überarbeitet wurde. Das Übereinkommen basiert auf der Überzeugung, dass für den Menschen eine „ethische Verpflichtung” besteht, die „Leidensfähigkeit” und das „Erinnerungsvermögen” von Tieren „angemessen zu berücksichtigen”, dass er aber zugleich in seinem Streben nach „Wissen, Gesundheit und Sicherheit Tiere verwenden muß” (Präambel).

Das Übereinkommen legt fest, dass Tierversuche nur zu bestimmten Zwecken durchzuführen sind. Diese umfassen u. a. die Diagnose und Prävention von Krankheiten, die klinische Forschung für Arzneimittel, den Umweltschutz und die physiologische Grundlagenforschung (vgl. Art. 2). Tierversuche dürfen zu den festgelegten Forschungszwecken nur dann durchgeführt werden, wenn sie für das Erreichen des Versuchsziels unerlässlich sind und keine alternativen Methoden zur Verfügung stehen (vgl. Art. 6). Mitgliedstaaten sind aufgefordert, die Forschung auf dem Gebiet der Tierversuchsersatzmethoden voranzutreiben (vgl. Art. 6), damit im Laufe der Zeit immer mehr Tierversuche durch alternative Verfahren ersetzt werden können. Für Tierversuche, die länger anhaltende erhebliche Schmerzen oder Schäden für das Versuchstier erwarten lassen, ist eine besondere Genehmigungs- oder Anzeigepflicht festgeschrieben (vgl. Art. 9). Zur Vermeidung unnötiger Mehrfachversuche in der Produktprüfung sind die Vertragsparteien zudem zur möglichst umfassenden wechselseitigen Anerkennung von Prüfergebnissen verpflichtet (vgl. Art. 29). 

Im Jahr 2010 wurde eine neue „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere” (RL 2010/63/EU; siehe 3.2.2) erlassen, die zentrale Forderungen des Übereinkommens aufgenommen hat.

Europäische Union
Die EU ist nur in einem begrenzten Umfang befugt, Tierschutzvorschriften zu erlassen: Tierschutz ist – anders als Umweltschutz – kein Gemeinschaftsziel der EU und wird deshalb von den Mitgliedstaaten nationalrechtlich geregelt. Die EU darf nur dann für alle Mitgliedstaaten verbindliche Tierschutzvorschriften erlassen, wenn dadurch Handelshemmnisse und Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Binnenmarkt verhindert werden. Würden in den einzelnen EU-Ländern unterschiedlich strenge Vorschriften zur Haltung von Nutz- und Versuchstieren vorherrschen, wären Handeltreibende aus Ländern mit strengeren Vorschriften wegen der höheren Produktions- und Haltungskosten auf dem gemeinsamen Binnenmarkt benachteiligt. Um derartigen Ungleichheiten und Benachteiligungen entgegenzuwirken, kann die EU Tierschutzvorschriften erlassen, die für alle Mitgliedstaaten verbindlich sind. Allerdings sind nicht alle Arten von Tierversuchen von solcher „Binnenmarktrelevanz”. Ob Tierversuche im Rahmen der Aus- und Weiterbildung oder in der universitären Grundlagenforschung nach EU-weiten Standards durchgeführt werden oder nicht, wird z. B. als irrelevant für den Binnenmarkt beurteilt und kann entsprechend nicht durch die EU reguliert werden.

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
In dem „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union” (AEUV) bekennen sich die Mitgliedstaaten der EU dazu, „[b]ei der Festlegung und Durchführung der Politik der Union […] den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere als fühlende Wesen in vollem Umfang Rechnung” zu tragen, hierbei jedoch „die Rechts- und Verwaltungsvorschriften und die Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten” (Titel II Artikel 13 des AEUV) zu berücksichtigen. Auch wenn der Tierschutz nicht zu den Gemeinschaftszielen der EU zählt, kommt ihm damit die gleiche Relevanz wie anderen unter Titel II des AEUV genannten Grundsätzen zu wie z. B. der Gewährleistung eines angemessenen Gesundheitsschutzes oder der Förderung der Geschlechtergleichstellung.

Tierversuchsrichtlinie 2010/63/EU
Die vom Europäischen Parlament und dem EU-Ministerrat verabschiedete und am 9. November 2010 in Kraft getretene Richtlinie 2010/63/EU („Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere”) ersetzt die vormals geltende Richtlinie 86/609/EWG. Eine bereits in der alten Richtlinie vorgesehene Vereinheitlichung und Harmonisierung nationaler rechtlicher Bestimmungen zum Tierschutz in der Forschung wird mit der neuen Richtlinie weiter vorangetrieben. Das nationale Recht der Mitgliedstaaten soll darauf ausgerichtet sein, die Verwendung von Tieren zu Forschungszwecken zu vermeiden, zu verringern und zu verbessern (vgl. Art 4). Im Rahmen der Richtlinie 2010/63/EU finden neben Wirbeltieren nun auch Kopffüßer (wie z.B. Tintenfische und Kraken) Berücksichtigung (vgl. Art. 1 Abs. 3). Als weitere zulässige Zwecke zur Durchführung von Tierversuchen werden die Bereiche der Grundlagenforschung, der Bildung und Ausbildung sowie der forensischen Untersuchungen benannt (vgl. Art. 5).

Ebenso wie die vorherige Richtlinie sieht RL 2010/63/EU vor, dass die nationalen Staaten bei Bedarf Vorschriften und Gesetze erlassen können, die über den durch EU-Regelungen definierten Mindeststandard hinausgehen. Dies schließt u. a. potenzielle Regelungen zu Genehmigungsverfahren von Tierversuchen oder zu tierschutzbezogenen Kontrollen von Betrieben ein (vgl. Art. 42, Art. 59f.).

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind sowohl durch die Richtlinie 2010/63/EU (vgl. Art. 4, Art. 46-49) als auch durch das entsprechende Europaratsübereinkommen (vgl. Art. 6) verpflichtet, die Forschung zur Entwicklung von Alternativmethoden zu fördern. Zu diesem Zweck existieren auf europäischer sowie nationaler Ebene Zentren zur Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden. Auch die Vermeidung unnötiger Mehrfachprüfungen durch die Wiederverwertung von Prüfnachweisen aus Sicherheitsprüfungen soll zur Verringerung der Anzahl rechtlich vorgeschriebener Tierversuche beitragen. Auf europäischer Ebene stellt das European Centre for the Validation of Alternative Methods (ECVAM, gegründet 1992) Informationsmaterial über bereits etablierte Ersatz- und Ergänzungsmethoden zur Verfügung und validiert alternative Verfahren. In Deutschland unterhält die Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden (ZEBET, gegründet 1989) eine Datenbank mit Alternativmethoden zu behördlich vorgeschriebenen Tierversuchen. Die Zentralstelle prüft zudem alternative Testmethoden auf ihre Relevanz und Reproduzierbarkeit und vergibt Fördermittel zur Erforschung von Tierversuchsersatzmethoden.

4. Das 3R-Prinzip

Das für den Schutz von Tieren in der Forschung international bedeutsame 3R-Prinzip wurde von William Russell und Rex Burch in ihrer Schrift „The Principles of Human Experimental Technique” von 1959 geprägt. Die drei „R” stehen für „Replacement” (Vermeidung), „Reduction” (Verringerung) und „Refinement” (Verfeinerung). Mit dem 3R-Prinzip wird angestrebt, Tierversuche durch andere Methoden oder Verfahren zu ersetzen (Replacement), unvermeidbare Schmerzen, Leiden und Schäden sowie die Anzahl von Versuchstieren auf ein erforderliches Minimum zu reduzieren (Reduction) und die Eingriffe und Behandlungen zu verbessern (Refinement).

Das 3R-Prinzip ist zum gemeinsamen Bezugspunkt der verschiedensten Organisationen und Initiativen geworden, welche die Vermeidung von Tierversuchen bzw. die Verbesserung der Bedingungen für Versuchstiere zum Ziel haben. Durch die Tierversuchsrichtlinie 2010/63/EU, deren vierter Artikel die Mitgliedstaaten auf den „Grundsatz der Vermeidung, Verminderung und Verbesserung” festlegt, hat das 3R-Prinzip Eingang in die Gesetzgebung vieler EU-Staaten gefunden. Das 2015 neu gegründete Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren verweist mit seinem Namenskürzel „Bf3R” sowohl auf das 3R-Prinzip als auch auf das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Das Bf3R ist ein integrales Element des BfR und unterstützt dieses durch Beratungstätigkeiten zum Schutz von Versuchstieren. Das europäische Pendant zum Bf3R ist das am Joint Research Centre (JCR) der Europäischen Kommission angesiedelte European Union Reference Laboratory for Alternatives to Animal Testing (EURL-ECVAM). Auch das EURL-ECVAM bestimmt Alternativmethoden zum Tierversuch als solche, mit denen das 3R-Prinzip durchgesetzt wird: Ein Experimentalverfahren stellt also genau dann eine Alternative zu Tierversuchen dar, wenn es geeignet ist, Tierversuche zu ersetzen, der Anzahl nach zu verringern oder hinsichtlich der durch sie verursachten Belastungen zu verfeinern.

Im Jahr 2005 ist die Europäische Kommission eine Verpartnerung mit Unternehmen unterschiedlicher Industriebereiche eingegangen, welche die Entwicklung von Alternativverfahren zu Tierversuchen zum Ziel hat (European Partnership to Promote Alternative Approaches to Animal Testing (EPAA)). Das Gründungsdokument der EPAA ist die so genannte „3Rs Declaration”. Seit 2013 vergibt die EPAA alle zwei Jahre 3R-Preise für besondere Verdienste in der Entwicklung von Alternativverfahren.

III. Kernfragen der ethischen Diskussion

Der moralische Status von Tieren und Menschen

Die Antwort auf die Frage, ob Tierversuche ethisch vertretbar sind, ergibt sich nicht schon daraus, dass sie für viele Menschen (beispielsweise für Verbraucher*innen oder Patient*innen) nützlich, vielleicht sogar lebensrettend, sind. Vielmehr muss gefragt werden, ob und inwiefern der menschliche Nutzen tierisches Leiden und Sterben rechtfertigt. Das hängt entscheidend davon ab, welchen moralischen Status Tiere im Vergleich zum Menschen haben.

Verschiedene Theorien geben verschiedene Antworten auf die Frage, wovon der moralische Status eines Lebewesens abhängt und welche Lebewesen dementsprechend einen unterschiedlichen moralischen Status haben. Dabei können Statusunterschiede sowohl innerhalb der menschlichen Spezies vermutet werden (zum Beispiel zwischen einem Embryo in einem frühen Entwicklungsstadium und einem erwachsenen Menschen) als auch - wie für den vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung - mit Blick auf verschiedene Spezies.

Die Auseinandersetzung um den moralischen Status von Tieren wird im Folgenden anhand dreier pointierter Positionen und der Einwände, die sie provozieren, dargestellt:

  1. Tiere haben keinen genuinen moralischen Status und sind folglich nicht um ihrer selbst willen schützenswert,
  2. alle Lebewesen, die in gleicher Weise leidensfähig sind und fähig sind, Interessen auszubilden (seien es Menschen oder Tiere) haben einen vergleichbaren moralischen Status und
  3. , als "mittlere" Position: Tiere haben einen genuinen moralischen Status, der jedoch dem moralischen Status des Menschen nachgeordnet ist.

1. Tiere haben keinen genuinen moralischen Status: sie sind nicht um ihrer selbst willen schützenswert

Die Auffassung, Menschen käme in moralischer Hinsicht ein Sonderstatus zu bzw. Menschen seien die einzigen Lebewesen mit einem sittlich verpflichtenden Eigenwert, hat verschiedene historische Wurzeln.

Wenn der Mensch als einziges Lebewesen "in moralischer Hinsicht zählt", dann ist er Tieren gegenüber nicht zur Rücksichtnahme verpflichtet: Ihre Nutzung oder Schädigung verletzt keine ethischen Gebote. Auch im Rahmen einer solchen radikal anthropozentrischen, das heißt auf den Menschen konzentrierten, Sichtweise können Pflichten in Bezug auf Tiere begründet werden. Diese Pflichten bestehen dann allerdings nicht gegenüber den Tieren selbst (denn diese haben keinen moralischen Eigenwert), sondern es handelt sich um indirekte oder abgeleitete Pflichten, also um Pflichten, die der Mensch zwar in Bezug auf Tiere hat, die ihren Grund aber in Pflichten des Menschen gegen sich selbst oder gegen seine Mitmenschen haben.

Eine Begründung des Verbots der Tierquälerei ohne Rückgriff auf einen eigenen moralischen Status der Tiere lieferte etwa Immanuel Kant im Rahmen seiner Ethik. Kants Argumentation findet sich in einem Kapitel der "Metaphysik der Sitten" (§§ 16-18). Das Verbot der Tierquälerei begründet Kant nicht damit, dass diejenige Person, die Tiere quält, diesen Unrecht zufügt, sondern damit, dass Tierquälerei die Fähigkeit der Person zum moralischen Handeln schwäche. So verletze sie eine Pflicht, die sie gegen sich selbst habe. Tierquälerei beeinträchtige zudem die Fähigkeit zur Empathie mit fremdem (auch menschlichem) Leiden. Da diese Fähigkeit aber für das Zusammenleben von Menschen in einer Gemeinschaft "sehr dienlich" sei, verletze diejenige Person, die sie mutwillig aufs Spiel setzt, eine Pflicht gegenüber ihren Mitmenschen. Derartige Argumente gegen Tierquälerei werden als Verrohungsargumente oder auch als pädagogische Argumente bezeichnet.

Die Auffassung, die rohe und grausame Behandlung von Tieren sei nicht per se falsch, sondern nur mittelbar über die Folgen für die eigene moralische Persönlichkeit und das Zusammenleben der Menschen, ist früh kritisiert worden, zum Beispiel von Arthur Schopenhauer. Gegenwärtig halten es zahlreiche Autor*innen für plausibler, anzunehmen, die Schädigung empfindungsfähiger Lebewesen sei als solche und gegenüber diesen selbst moralisch bedenklich. Vor diesem Hintergrund argumentieren sie, die angemessene Behandlung von Tieren sei eine Frage der Gerechtigkeit, nicht der Barmherzigkeit. Gerechtigkeit gegenüber Tieren kann es jedoch nur geben, wenn Tiere einen genuinen moralischen Status haben, also einen sittlich verpflichtenden Eigenwert.

2. Tiere haben einen eigenen moralischen Status 

2.1 Tiere und Menschen haben einen vergleichbaren moralischen Status
In jüngerer Zeit haben sich Theoriemodelle herausgebildet, denen zufolge der moralische Status von Menschen und empfindungs- bzw. interessefähigen Tieren identisch sei. Die beiden Ansätze, die man als Tierinteressenposition und Tierrechtsposition bezeichnen kann, dominieren gegenwärtig die Diskussion um den angemessenen Umgang mit Tieren.

2.1.1 Tierinteressenposition
Peter Singer macht den moralischen Status von Lebewesen von ihrer Fähigkeit, Interessen (zum Beispiel an Lebenserhaltung und Schmerzfreiheit) zu haben, abhängig. Alle Lebewesen, die in gleicher Weise über Interessen verfügen, haben einen gleichen moralischen Status. Aus dieser Sichtweise ergeben sich zwei Konsequenzen: eine Aufwertung des moralischen Status von interessefähigen Tieren und eine Abwertung des moralischen Status von nicht bzw. vermindert interessefähigen menschlichen Lebewesen. Die Forschung an menschlichen Embryonen beispielsweise stellte sich (da Embryonen noch kein Interesse an Schmerzfreiheit oder Lebenserhaltung haben) nicht länger als ethisches Problem dar, während schmerzhafte Versuche an Mäusen ein gravierendes moralisches Übel wären. 

Für die Einstellung, gleichermaßen an einer schmerzfreien Existenz interessierte Lebewesen wie Menschen und Mäuse hätten einen so unterschiedlichen "Wert", dass die einen zum Wohle der anderen genutzt werden dürften, prägt Singer in seinem Buch "Animal Liberation" ("Die Befreiung der Tiere") den Ausdruck Speziesismus. Speziesismus ist für Singer eine Form von Diskriminierung, ebenso wie Rassismus und Sexismus: Ohne dass es dafür moralisch relevante Gründe gibt, wird eine Gruppe von Lebewesen von einer anderen benachteiligt. Speziesismus ist also eine Art Gruppenegoismus der Menschheit gerichtet gegen nicht-menschliche Wesen.

Was bedeutet das für den Bereich Tierversuche? Singer spricht sich nicht für ein absolutes Verbot von Tierversuchen aus (im Gegensatz zu den Verfechter*innen von Tierrechten). Er spricht sich aber ebenso wenig für ein absolutes Verbot von Versuchen an Menschen aus. Aufgrund von Selbst- und Zukunftsbewusstsein haben (die meisten) Menschen, Singers Einschätzung nach, ein größeres Interesse daran, nicht als Forschungsobjekt missbraucht zu werden, als Tiere. Für Menschen ist aufgrund ihrer Zukunftsbezogenheit zudem das eigene Weiterleben von wesentlich größerer Bedeutung als für Tiere. Aufgrund dieser weiterreichenden Interessen der Menschen ist nach Singer in gewissem Maße die Nutzung von Tieren in biomedizinischen Experimenten eher gerechtfertigt als die Nutzung von Menschen. Versuche an Menschen, die aufgrund fehlender kognitiver und emotionaler Fähigkeiten über eine vergleichbar eingeschränkte Interessensfähigkeit, wie z.B. höhere Tiere, verfügen (beispielsweise Säuglinge oder Menschen mit schwersten kognitiven und körperlichen Einschränkungen), sind aber nach Singer in moralischer Hinsicht mit bestimmten Tierversuchen gleichwertig.
Singers Position ist pathozentrisch, das heißt er fordert die moralische Gleichstellung aller empfindungsfähigen Wesen. Ob Tiere aber überhaupt und, falls ja, in welchem Maße empfindungsfähig sind, war lange umstritten. In der Neuzeit war die These verbreitet, Tiere seien sowohl unfähig zu denken als auch zu fühlen.

2.1.2 Tierrechte
Gemäß der "Position der Rechte" wie sie von Tom Regan, ihrem Begründer, bezeichnet wird, ist die wesentliche Eigenschaft, die ein Lebewesen aufweisen muss, damit es Träger von Rechten sein kann, das "Subjektsein eines Lebens". Jedes Lebewesen, das über ein individuelles Wohlergehen verfüge, habe einen Eigenwert (inhärenten Wert) und sei damit nicht nur ein Mittel für fremde Zwecke. So weit ähneln sich Tierinteressenposition (s. o.) und Tierrechtsposition.
Mit der Forderung nach Tierrechten sind allerdings weitreichendere Konsequenzen intendiert als mit der Forderung, tierische Interessen ebenso wie menschliche Interessen zu berücksichtigen. Die Position der Rechte macht gegenüber der Tierinteressenposition geltend, dass alle Lebewesen, die Subjekt eines Lebens sind, durch individuelle Rechte geschützt sein sollten. Zur Debatte steht also die Frage, ob das Konzept der Rechte, wie es bezogen auf Menschen besteht, auf Teile der Tierwelt ausgeweitet werden kann und soll. Falls Tiere ebenso wie Menschen individuelle moralische Rechte besäßen, wären Tierversuche auch dann ausgeschlossen, wenn diese einen herausragenden Nutzen versprächen - ebenso wie (zwangsweise durchgeführte) Versuche an Menschen unter allen Umständen unvertretbar sind, unabhängig vom Nutzen für die Allgemeinheit. Vertretende einer Position der Rechte lehnen entsprechend Tierversuche, ebenso wie den Verzehr von Fleisch, generell ab.

Gegen die Position der Rechte wird gelegentlich folgender Einwand erhoben: Rechte haben als solche nur Bestand durch ihre wechselseitige Anerkennung (zu der Tiere nicht fähig sind). Warum aber sollten Tiere Rechte haben, wenn ihnen die Einsicht in deren Bedeutung und die Möglichkeit danach zu handeln fehlen? Tierrechtler*innen führen gegen diesen Einwand das "Argument der Grenzfälle" an: auch menschliche Wesen müssen nicht moralfähig und rational sein, um Träger von Rechten zu sein (wie etwa Säuglinge, Menschen mit schwersten geistigen Einschränkungen oder Personen im Koma). In diesen Fällen werde der Schutz der Rechte durch eine Anwaltschaft sichergestellt.
Eine Art Minimalforderung der Vertretenden der Tierrechtsposition und der Tierinteressenposition ist die Forderung nach Menschenrechten für Menschenaffen. Als in besonderem Maße ethisch problematisch werden Versuche an Primaten allgemein angesehen, wenn sie eine Steigerung der geistigen Fähigkeiten der Versuchstiere zur Folge haben könnten. Für diesen Fall werden deshalb besondere Vorsichtsmaßnahmen gefordert.

2.1.3 Mitleid mit Tieren
Als bekanntester Vertreter der Mitleidsethik verzichtet Arthur Schopenhauer im Gegensatz zu Vertretenden der Tierinteressen- und Tierrechteposition auf die Zuweisung eines moralischen Status. Durch diesen Verzicht versuchen Vertretende der Mitleidsethik Vorannahmen über allgemein geteilte Werte, wie z.B. die Würde des Menschen, zu umgehen, da diese den moralischen Status begründen sollen, gleichzeitig aber nicht von allen akzeptiert werden (können).

Ähnlich wie bei Singer ergibt sich für Schopenhauer der Kreis der schutzwürdigen Mitglieder einer Moralgemeinschaft aus denjenigen Wesen, die leidfähig sind. Der Mensch erkennt durch sein Mitleid mit anderen Wesen die Schutzwürdigkeit des Gegenübers und die Verpflichtung, dieses vor Leid zu bewahren. Als leidfähige Wesen gelten auch Tiere, deren Schutzbedürftigkeit Schopenhauer jedoch im Vergleich zum Menschen geringer einschätzt, da die Leidfähigkeit eines Wesens abhängig von dessen Intelligenz ist und daher der Mensch als intelligentestes Wesen die höchste Leidensqualität besitzt.

Demnach sind Fleischverzehr und Nutztierhaltung legitim, solange ein schmerzfreier Tod gewährleistet wird und der Verzehr überlebenswichtig ist und im zweiten Fall die Nutzung der Tiere nicht maßlos ist. Tierversuche, die Leiden bei Tieren verursachen, lehnt Schopenhauer grundsätzlich ab. Analog zu der Rechtfertigung des Fleischverzehrs lässt er Tierversuche jedoch dann zu, wenn sie nahezu schmerzfrei erfolgen und essentiell für das Überleben des Menschen sind. 

Angelehnt an Arthur Schopenhauer entwickelt Ursula Wolf als Erweiterung der Mitleidsethik den Ansatz des generalisierten Mitleids. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass er, abseits von Werten und Zuweisungen von Status, Rechte und Pflichten zur Leidensvermeidung zu begründen versucht. Schopenhauer hatte auf eine Begründung von Rechten und Pflichten verzichtet; für ihn leiten sich die Grundregeln der Ethik aus dem Mitleid ab. Wolf hingegen leitet aus Mitleid Schutzpflichten gegenüber allen Leidfähigen ab, welche sich aber ausschließlich an Menschen richten, da nur sie über die nötigen Reflektionsfähigkeiten zu moralischem Handeln verfügen. Im Vergleich zu Regans Tierrechteposition fußen Wolfs Pflichten auf der Grundlage des Mitleids, während Regan Rechte und Pflichten an dem inhärenten Wert der Wesen festmacht.

Mitglied der Moralgemeinschaft sind diejenigen, die über Leidfähigkeit verfügen. Zu beachten ist hier die höhere Schutzdimension derjenigen Wesen, die über ein zumindest basales Selbstbewusstsein verfügen. Insgesamt verwehrt sich Wolf einer Statusunterscheidung zwischen Menschen und Tieren, indem sie die vorgebrachten empirischen Begründungen für nicht stichhaltig befindet und grundsätzlich alle leidfähigen Wesen als gleich schutzwürdig betrachtet.

Auf die Frage nach der Legitimität von Tierversuchen ergibt sich bei Wolf folgender Standpunkt: Die Höherwertigkeit des Menschen aufgrund empirischer Tatsachen, wie z.B. einer vermeintlich höheren Leidfähigkeit aufgrund seiner Intelligenz, weist Wolf als moralisch irrelevant zurück, sie rechtfertigen keine Statusabstufung und demnach auch keine Tierversuche, in denen Tiere leiden.

Ansätzen der Mitleidsethik wird, ähnlich wie den Vertretenden der Tierrechteposition, oftmals vorgeworfen, moralische Rücksichtnahme sei nur denjenigen Wesen gegenüber sinnvoll, die ihrerseits zu moralischer Rücksichtnahme fähig sind, so dass aufgrund ihrer Fähigkeiten nur Menschen in den Kreis der direkt Schutzwürdigen aufgenommen werden sollten. Wolf entgegnet hier, dass die besondere Fähigkeit des Menschen zu moralischem Handeln auch Tieren gegenüber ausgeübt werden sollte, eben weil Menschen die Fähigkeit dazu besäßen.

2.1.4 Biozentrismus
Gemäß dem Biozentrismus sind alle Lebewesen, das heißt nicht nur die Empfindungs- und Interessefähigen, moralisch relevant bzw. um ihrer selbst willen schützenswert. Der uneingeschränkte Schutz allen Lebens (des Lebens von Tieren und Pflanzen, aber auch von Bakterien und anderen Einzellern) scheint allerdings unmöglich. Das mag begründen, warum vor dem Hintergrund des Biozentrismus kaum eindeutige und radikale Maßnahmen gefordert werden. Der bekannteste Vertreter einer biozentrischen Position ist Albert Schweitzer. Schweitzer selbst lehnte Tierversuche nicht kategorisch ab, sondern wollte zu einem insgesamt schonenderen Umgang mit Tieren (und Pflanzen) aufrufen.

Zwischen den beiden Extrempositionen, Tiere haben keinen genuinen moralischen Status (s. 1.) bzw. der moralische Status von Tieren und von Menschen ist gleich (s. 2.1.), lässt sich eine mittlere Position ausmachen.

2.2 Der moralische Status von Tieren ist dem moralischen Status von Menschen nachgeordnet
Die Theorie, Tiere hätten zwar einen eigenen moralischen Status und ihnen gegenüber bestünden demnach direkte moralische Pflichten, ihr moralischer Status sei jedoch prinzipiell dem moralischen Status von Menschen nachgeordnet, wird gelegentlich als Doppelstandardtheorie bezeichnet. Der Begriff Doppelstandard soll zum Ausdruck bringen, dass es zwar Pflichten sowohl gegenüber Menschen als auch gegenüber Tieren gebe, dass die jeweiligen Pflichten aber verschieden sind. Obwohl der Doppelstandard in gewisser Weise schwer zu begründen ist (er entgeht beispielsweise nicht dem Speziesismusvorwurf, s. o.) entspricht dieses Modell wohl weitestgehend dem Alltagsverständnis von einem angemessenen Verhältnis zwischen Menschen und Tieren. Hiernach wären Tiere zwar um ihrer selbst willen schützenswert, ihre Interessen (an Schmerzfreiheit, Lebenserhaltung usw.) wären jedoch - falls sie mit menschlichen Interessen in Konkurrenz träten - nachrangig. Insgesamt ergäbe sich hieraus die Pflicht, zumindest dann Rücksicht auf Tiere zu nehmen, wenn dadurch keine gravierenden menschlichen Interessen verletzt würden. Gleichzeitig würde ihre Nutzung in der wissenschaftlichen Forschung (und auch in der Nahrungsmittelindustrie) als insgesamt ethisch vertretbar angesehen.
Einen Vorschlag, wie die Begründung einer solchen Position aussehen könnte, hat der Philosoph Jürgen Habermas unterbreitet. Er gesteht Tieren einen genuin moralischen Status zu, der jedoch von dem Grad der sozialen Interaktion abhängig ist, in die Tiere mit uns treten. Dies scheint die moralische Intuition gut abzubilden, dass menschliches Verhalten vor allem gegenüber hoch entwickelten Säugetieren moralisch relevant ist.

Auch das Tierschutzgesetz, speziell die Nachweispflicht von Unerlässlichkeit und ethischer Vertretbarkeit von Tierversuchen, verpflichtet sich näherungsweise diesem Verständnis.

Zitiervorschlag

Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (2022): Im Blickpunkt: Tierversuche in der Forschung. URL https://www.drze.de/de/forschung-publikationen/im-blickpunkt/tierversuche-in-der-forschung [Zugriffsdatum]

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